Häufig gestellte Fragen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit

Berufsorientierung und Arbeitsmarkt

Gymnasien, Realschule, berufliche Schulen, Hauptschule | Sekundarstufe I + II

Hintergrundtext
27.08.2011

1. Das Lohnniveau ist in Deutschland wesentlich höher als in Osteuropa. Warum kommen nicht noch viel mehr Menschen aus Polen, Tschechen, Ungarn und anderen osteuropäischen EU-Ländern zum Arbeiten nach Deutschland?

Wenn die Verdienstmöglichkeiten das einzig Ausschlaggebende wären, dürfte zum Beispiel auch kein Portugiese mehr in Portugal arbeiten. Gerade innerhalb der EU ist es zwar oft eine ökonomische Entscheidung, in ein anderes Land zu gehen, allerdings fällt die Kosten-Nutzen-Abwägung etwas komplexer aus: Grundsätzlich besteht ein Anreiz auszuwandern, wenn im Ausland höhere Löhne als in der Heimat gezahlt werden – und diese nicht komplett von höheren Lebenshaltungskosten aufgefressen werden. Darüber hinaus sollten auch die Chancen gut sein, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu bekommen.

Dagegen gerechnet werden müssen die sogenannten Migrationskosten. Diese bestehen nicht nur aus den direkten Kosten des Umzugs, sondern vor allem aus den indirekten Kosten: Auswanderer verlassen ihre Heimat, geben ihre soziale Netzwerke auf und müssen sich an eine neue Umgebung gewöhnen. Möglicherweise sind sie sogar gezwungen, ihre beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten abzuschreiben, weil diese in Deutschland nicht unbedingt vollständig anerkannt werden.

2. Wird es in Deutschland mehr Arbeitslose geben?

In der ökonomischen Theorie ist Zuwanderung wirtschaftlich positiv für das Aufnahmeland. Die Argumentation: Mehr Erwerbstätige erstellen mehr Güter und Dienstleistungen, also steigt der Wohlstand. Die Frage ist allerdings: Wer hat etwas davon? Mit anderen Worten, die Verteilungswirkungen sind ungewiss. Einheimische Arbeitnehmer, die direkt mit den Zuwanderern um Arbeitsplätze konkurrieren, werden möglicherweise verlieren – vielleicht ihre Stelle, vielleicht aber auch „nur“ an Einkommen. Das läge dann daran, dass durch die Zuwanderung mehr Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Arbeitnehmer aus Osteuropa sind dabei wahrscheinlich im Vorteil, weil viele oder zumindest eine ganze Menge von ihnen bereit sind, zu geringeren Löhnen zu arbeiten.

Denkbar wäre aber auch ein positiver gesamtwirtschaftlicher Effekt: Wenn zum Beispiel ein osteuropäischer Ingenieur in Deutschland eine Maschine konstruiert, werden auch Arbeitskräfte gebraucht, die diese Maschine bauen, vermarkten, transportieren und warten. Wie es am Ende wirklich aussieht, hängt entscheidend von der Qualifikation der Zuwanderer ab. Je attraktiver Deutschland für Akademiker und andere besonders gut Ausgebildete ist, desto mehr haben die Wirtschaft und damit auch die hiesigen Arbeitnehmer von der bevorstehenden Migration aus Osteuropa.

Ein Beispiel dafür, was Zuwanderung bewirken kann, liefert Großbritannien, das seinen Arbeitsmarkt schon 2004 für die Bürger der Beitrittsländer geöffnet hat. Das Vereinigte Königreich verzeichnete danach ein ordentliches Wirtschaftswachstum und steigende Beschäftigtenzahlen. Feststellen ließ sich aber auch, dass die Löhne durch die Zuwanderung weniger kräftig stiegen als zuvor und sich die Arbeitslosigkeit leicht erhöhte. So ähnlich könnte es in den nächsten Jahren in Deutschland kommen – unter der Bedingung, dass auch hierzulande zusätzliche Arbeitsplätze entstehen.

3. Bekommt jeder arbeitslose EU-Bürger in Deutschland Arbeitslosengeld oder Hartz IV?

EU-Bürger, die zur Arbeitsuche nach Deutschland kommen, haben keinen Anspruch auf staatliche Unterstützung. Erst wenn jemand erwerbstätig ist, wird er von den sozialen Sicherungssystemen erfasst. Sind sämtliche Voraussetzungen erfüllt – etwa die zwölfmonatige Mindestbeschäftigungsdauer –, bekommen auch Italiener, Franzosen oder Polen, die ihren Job in Deutschland verloren haben, Arbeitslosengeld. Anspruch auf die Fürsorgeleistung Arbeitslosengeld II, also Hartz IV) besteht uneingeschränkt erst nach einer fünfjährigen Wartezeit.

4. Unter welchen Voraussetzungen dürfen Nicht-EU-Bürger in Deutschland arbeiten und leben?

Drittstaatsangehörige, also Nicht-EU-Bürger, brauchen für den Aufenthalt in Deutschland einen sogenannten Aufenthaltstitel. „Zum Zwecke der Erwerbstätigkeit“ gibt es diese Möglichkeiten:

  • Der §18 des Aufenthaltsgesetzes erlaubt den befristeten Aufenthalt von Ausländern zum Zwecke der Erwerbstätigkeit, wenn eine Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit vorliegt, die wiederum eine Reihe – schwammig formulierter – Kriterien zu prüfen hat. Darunter fällt auch die sogenannte Vorrangprüfung, die eine Antwort auf die Frage finden soll, ob es für den Arbeitsplatz nicht auch einen Bewerber aus Deutschland oder anderen EU-Ländern gibt. Möglich ist die Zuwanderung in der Regel nur für qualifizierte Arbeitnehmer in bestimmten Berufen, wenn ihnen ein konkretes Arbeitsangebot vorliegt.
  • Nach §19 des Aufenthaltsgesetzes können besonders hoch qualifizierte Personen eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erhalten. Wer als besonders qualifiziert gilt, ist nur unkonkret spezifiziert. Bei leitenden Angestellten und Spezialisten muss das Gehalt mindestens der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung entsprechen, das waren 2011 in Westdeutschland 66.000 Euro im Jahr. Auch für diese Hochqualifizierten ist eine Vorrangprüfung vorgesehen.
  • Der §20 des Aufenthaltsgesetzes regelt die Möglichkeit von Forschungsaufenthalten für Wissenschaftler.
  • In §21 wird bestimmt, dass Selbstständige zunächst ein befristetes, später unbefristetes Aufenthaltsrecht erhalten können, wenn sie mindestens 250.000 Euro investieren und fünf Arbeitsplätze schaffen.
  • Außerdem gibt es Aufenthaltstitel für Spezialfälle wie Saisonarbeitnehmer oder ausländische Sportler sowie für Ausländer, die in Deutschland studiert haben. Letztere dürfen nach dem Abschluss ihres Studiums ein Jahr nach einem „angemessenen“ Arbeitsplatz suchen.