Was das TTIP-Abkommen bewirken soll

Globalisierung und Europa

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Hintergrundtext
16.09.2014
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In den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen geht es um mehr als den Abbau von Zöllen – die geplanten Handelserleichterungen bergen Risiken, können die Wirtschaft aber auch beflügeln.

Ziel des Freihandelsabkommens ist es, möglichst viele Handelshemmnisse zu beseitigen. Gegen Transportkosten und Wechselkursrisiko richtet eine Freihandelszone zwar nichts aus, an anderen Kostenfaktoren kann der TTIP-Vertrag aber durchaus ansetzen.

Abbau von Zöllen

Zölle werden auch als tarifäre Handelshemmnisse bezeichnet. Sie verteuern die Importgüter, wirken also wie eine Extra-Steuer auf Einfuhren und schwächen dadurch deren preisliche Konkurrenzfähigkeit mit heimischen Erzeugnissen. Im Großen und Ganzen sind die Zölle zwischen den USA und der EU relativ gering – sie liegen im Schnitt unter 3 Prozent für Industriegüter und unter 4 Prozent für Agrarerzeugnisse. Es gibt jedoch Ausreißer: Die Exporte der europäischen Keramikindustrie sowie die Speiseeishersteller beispielsweise sind in den USA mit Zöllen von über 20 Prozent belegt. Dadurch verteuern sich die betroffenen Produkte kräftig – und verkaufen sich längst nicht so gut, wie es ohne diese Zölle möglich wäre. Im Rahmen von TTIP werden solche Zölle wahrscheinlich vollständig abgebaut.

Gegenseitige Anerkennung von Vorschriften

Auch die sogenannten nichttarifären – also nicht preislichen – Handelshemmnisse sollen abgebaut werden. Anders als oft behauptet, geht es dabei aber nicht darum, Regulierungen und Standards zu vereinheitlichen. Die Verhandlungspartner suchen vielmehr gezielt nach Vorschriften, die sie gegenseitig anerkennen können. Das betrifft zum Beispiel die Automobilindustrie: Zweifelsohne sind Autos beiderseits des Atlantiks zuverlässig und sicher. Trotzdem gibt es unterschiedliche Anforderungen, zum Beispiel in puncto Autositze, Außenspiegel und Scheinwerfer. Die Hersteller müssen diese Bauteile also einmal für den europäischen und einmal für den amerikanischen Markt entwickeln und zwei Zulassungsverfahren finanzieren – ohne erkennbaren Nutzen. Diese zusätzlichen Kosten schlagen sich in höheren Preisen nieder. Es wäre also sowohl für die Hersteller als auch für die Kunden einfacher und preisgünstiger, wenn vergleichbare Standards in beiden Wirtschaftsräumen akzeptiert würden.

Problematisch ist dagegen der Umgang mit jenen Produktstandards, die sich stark unterscheiden. Dies ist zum Beispiel bei Lebensmitteln der Fall. So darf Geflügel in den USA nach dem Schlachten in einem Chlordioxid-Bad desinfiziert werden, in der EU ist dies verboten. Gentechnisch veränderte Produkte dürfen in den USA ohne weiteres verkauft werden, in der EU besteht dagegen Kennzeichnungspflicht. Umgekehrt ist Rohmilchkäse in der EU nichts Besonderes, während der Verkauf in den US-Bundesstaaten entweder verboten oder nur stark eingeschränkt erlaubt ist.

Weil sowohl die EU-Bürger als auch die Amerikaner erhebliche Bedenken gegen die Vorschriften des jeweils anderen hegen, haben US-Präsident Barack Obama und EU-Handelskommissar Karel De Gucht mehrfach betont, dass keine Vereinheitlichung bestehender Standards für das Freihandelsabkommen angestrebt wird. Ziel ist aber, dass die Regulierungsbehörden hüben und drüben bei der Entwicklung neuer Standards häufiger zusammenarbeiten.

Reizthema Investorenschutz

Die sogenannte Investitionsschutzklausel ist der wohl umstrittenste Teil des Transatlantik-Abkommens. Grundsätzlich sollen solche Vereinbarungen ausländische Investoren vor entschädigungsloser Enteignung, Produktionsverboten und Diskriminierung schützen. Betroffene Unternehmen können den jeweiligen Staat vor nicht öffentlichen internationalen Schiedsgerichten verklagen. Die Schiedssprüche dieser Gerichte – zum Beispiel dem zur Weltbank gehörenden „Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten“ (ICSID) – sind endgültig und bindend.

Bislang wurden Investitionsschutzabkommen vor allem zwischen Industrieländern und rechtlich eher unsicheren Entwicklungs-und Schwellenländern vereinbart.

Den weltweit ersten Investitionsschutzvertrag hat Deutschland 1959 mit Pakistan geschlossen. Heute ist die Bundesrepublik an 139 solcher Abkommen beteiligt – kein anderes Land hat mehr.

Seit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags im Jahr 2009 dürfen EU-Mitgliedsstaaten keine eigenen Investitionsschutzabkommen mehr aushandeln. Diese Kompetenz ist an die EU übergegangen, die einzelnen Länder werden aber konsultiert – so auch bei den TTIP-Verhandlungen.

Kritiker wie Menschenrechts- und Umweltorganisationen befürchten, dass Investitionsschutzverträge die Gestaltungsspielräume der demokratisch legitimierten nationalen Politik einschränken. Denn Unternehmen könnten Regierungen auf diesem Weg zwingen, bestimmte Umweltschutzgesetze rückgängig zu machen oder Kompensationszahlungen zu leisten. Ein Beispiel für einen solchen Versuch ist die – noch laufende – Klage von Vattenfall gegen die Bundesregierung. Dem schwedischen Energiekonzern gehören zwei der ältesten Kernkraftwerke in Deutschland. Nach dem Beschluss zum Atomausstieg 2011 mussten sie sofort stillgelegt werden, wogegen Vattenfall vor Gericht gezogen ist.

Die Bedenken gegen solche Klauseln sind also berechtigt. Problematisch sind vor allem die schwammigen Formulierungen in vielen Investitionsschutzabkommen, die intransparente Auswahl der Richter an den Schiedsgerichten, ebenso intransparente Prozesse und der Umstand, dass gegen die Urteile keine Rechtsmittel eingelegt werden können. Die EU-Kommission hat das Problem erkannt und will das Regulierungsrecht der Staaten im Rahmen der TTIP-Verhandlungen festschreiben, solange ausländische Unternehmen dabei nicht schlechter gestellt werden als heimische. Außerdem sollen den Schiedsgerichten bestimmte Leitlinien und vor allem Transparenz verordnet werden. Bis Anfang Juli läuft dazu ein dreimonatiges öffentliches Konsultationsverfahren. Unternehmen, Organisationen und Privatpersonen können ihre Meinung zur geplanten Investitionsschutzklausel auf der Internetseite der EU äußern.

Was die transatlantische Freihandelszone bringt

Welche positiven Auswirkungen das Freihandelsabkommens haben wird, darüber sind sich Ökonomen im Wesentlichen einig:

  • TTIP erleichtert kleinen und mittelständischen Unternehmen den Zugang zum US-Markt.
  • Für die Bürger und Unternehmen in der EU werden Importgüter aus den USA billiger.
  • Das Angebot an Produkten in Europa wird (noch) vielfältiger. Der Handel zwischen den USA und der EU intensiviert sich und die Wirtschaft beiderseits des Atlantiks erhält einen Wachstumsschub.

Grundsätzlich wären multilaterale Handelsabkommen unter dem Dach der Welthandelsorganisation (WTO) besser als bilaterale Abkommen wie TTIP. Doch die Chancen dafür stehen derzeit nicht gut: Die WTO hat aktuell 160 Mitglieder, darunter China und seit 2012 auch Russland, also schwergewichtige Verhandlungspartner mit deutlich anderen Interessen als die westlichen Industrienationen. Für die USA und Europa wäre das Transatlantik-Abkommen also ein Fortschritt – und auch gar nicht so ungewöhnlich: Die EU unterhält mittlerweile eine Zollunion mit der Türkei und hat Freihandelsabkommen mit Mexiko, Chile, Südkorea und Singapur geschlossen: Die USA verhandeln derzeit unter anderem mit Neuseeland, Chile und Singapur über eine transpazifische Handelspartnerschaft.