Die Vermessung des Wohlstands

Staat und Wirtschaftspolitik

Gymnasien, Realschule, Hauptschule | Sekundarstufe I + II

Hintergrundtext
24.08.2018

Als Wohlstandsmaß weist das Bruttoinlandsprodukt einige Schwächen auf. Deswegen existieren mittlerweile eine ganze Reihe anderer Indikatoren, die Auskunft darüber geben sollen, wie gut es den Menschen geht. Wir stellen die wichtigsten vor.

Das Bruttoinlandsprodukt ist durchaus ein geeignetes Maß für die Wirtschaftskraft eines Landes, und die Pro-Kopf-Betrachtung gibt Auskunft über den materiellen Wohlstand. Doch bekanntlich macht Geld allein nicht glücklich – und das ist nicht das einzige Problem bei der Verwendung des Bruttoinlandsprodukts als Wohlstandsmaß und Messlatte für den politischen Erfolg von Regierungen:

Durchschnittswerte wie das Pro-Kopf-BIP sagen nichts über die Verteilung des Wohlstands aus. Rein rechnerisch ist zwischen „alle haben gleich viel“ und „einer hat alles“ alles möglich.

Nur über den Markt vermittelte Leistungen steigern das BIP. Unterstützung innerhalb der Familie oder unter Freunden und ehrenamtliches Engagement bleiben unberücksichtigt.

Umweltbelastungen und Naturzerstörung wie Luftverschmutzung, Müll, Artensterben und Treibhausgas-Emissionen schlagen nicht negativ zu Buche.

Schon diese konzeptionellen Mängel lassen erkennen, dass Wirtschaftswachstum kein Selbstzweck ist, sondern einem übergeordneten Ziel dient: Es soll möglichst vielen Menschen in einem Land gut gehen. Doch wie findet man heraus, ob das der Fall ist? Und was heißt überhaupt „gut gehen“?

Das Bruttonationalglück – und wie man Wohlstand bewerten kann

    Eine auf den ersten Blick schlichte Antwort hat das kleine Königreich Bhutan im Himalaya gefunden: Es maximiert das Bruttonationalglück. Ganz so einfach zu bestimmen ist das Glück allerdings nicht. Die Bhutaner haben ein Set aus 33 Indikatoren für neun Lebensbereiche entwickelt: Bewertet werden das subjektive Wohlbefinden, Gesundheit, Bildung, Kultur, die Aufteilung zwischen Arbeitszeit und Freizeit, die Politik, das Gemeinschafts- und Familienleben, die Natur und nicht zuletzt der Lebensstandard.

    Das Beispiel Bhutan macht Schule: In Deutschland ermittelt derzeit die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ im Auftrag des Bundestags, welchen Stellenwert Wachstum für Wirtschaft und Gesellschaft hat und inwieweit es sich vom Ressourcenverbrauch entkoppeln lässt. Der Hauptauftrag der Kommission ist jedoch, einen ganzheitlichen Wohlstands- und Fortschrittsindikator für Deutschland zu entwickeln. Grundsätzlich gibt es dafür zwei methodische Ansätze:

    • Es kann ein Gesamtindex aus verschiedenen Faktoren gebildet werden. Am Ende steht dann eine einzige Zahl, die das Bruttoinlandsprodukt als Wohlstandsmaß ersetzt oder ergänzt.
    • Oder man erstellt ein Set aus Indikatoren, die getrennt voneinander betrachtet werden und dann zeigen, auf welchem Feld es noch etwas zu tun gibt.

    Der Human Development Index bewertet den Entwicklungsstand

    Während es bei der Enquete-Kommission nach derzeitigem Stand auf das Indikatoren-Set hinausläuft, haben sich andere Experten für den Gesamtindex entschieden. Das wohl bekannteste alternative Wohlstandsmaß ist der seit 1990 berechnete Human Development Index (HDI) der Vereinten Nationen, der vor allem in der entwicklungspolitischen Debatte benutzt wird. Der HDI setzt sich im Wesentlichen aus den drei Bereichen Einkommen, Bildung und Gesundheit zusammen. Als Variablen dienen zum Beispiel die Lebenserwartung bei der Geburt, die durchschnittliche Zahl an Schuljahren und das Pro-Kopf-BIP. Den gemessen am HDI höchsten Entwicklungsstand der Welt hat Norwegen, gefolgt von Australien und den Niederlanden. Die USA liegen auf Platz 4 und Deutschland auf Platz 9 (Stand 2011).

    Der Better Life Index bringt Lebensstandard und Lebensqualität zusammen

    Noch wesentlich mehr Faktoren als der Human Development Index berücksichtigt der 2011 erstmals veröffentlichte Better Life Index der Industrieländer-Organisation OECD – sie stammen aus den beiden Bereichen „Materielle Lebensbedingungen“ und „Lebensqualität“. Zur ersten Kategorie zählen Einkommen, Vermögen, Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und die Wohnsituation. Die zweite Kategorie deckt ähnliche Aspekte ab wie das Bhutaner Nationalglück, nämlich: Gesundheit, das Verhältnis von Arbeit zu Freizeit, Bildung, soziale Bindungen, politische Beteiligung, Umweltqualität, Sicherheit und das Wohlbefinden. Die für den Index Befragten können zudem angeben, welches Gewicht sie den einzelnen Kriterien geben möchten. Das Ergebnis unterscheidet sich im Endeffekt aber nur leicht vom Ergebnis bei Gleichgewichtung aller Variablen. Die Top 3 des Better Life Indexes 2012 sind Australien, Norwegen und die USA. Deutschland belegt den 17. Platz.

    Der Happy Planet Index setzt Wohlstand ins Verhältnis zur Umweltbelastung

    Anders sieht die Sache beim Happy Planet Index der britischen New Economics Foundation aus. Für diesen Index wird die Lebenserwartung mit der in Umfragen ermittelten Lebenszufriedenheit der Bürger multipliziert und durch ihren ökologischen Fußabdruck geteilt. Wohlstand und Wohlbefinden werden also ins Verhältnis zur Umweltbelastung gesetzt. Hier schneiden besonders Entwicklungs- und Schwellenländer gut ab: Costa Rica, Vietnam und Kolumbien liegen 2012 vorn, Deutschland dagegen erreicht gerade einmal den 46. Rang. Diese gravierende Verschiebung ist vor allem darauf zurückzuführen, dass der Beanspruchung der Umwelt im Nenner des Happy Planet Indexes ein sehr hohes Gewicht beigemessen wird, wirtschaftlich schwächere – und obendrein klimatisch begünstigte – Länder hier aber naturgemäß besser dastehen als die Industrieländer der nördlichen Hemisphäre.


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