Kaufkraft – oder was sich die Bundesbürger leisten können

Haushalt und Geld

Gymnasien, Realschule, Hauptschule | Sekundarstufe I + II

Hintergrundtext
15.11.2012

Ist irgendwo von Kaufkraft die Rede, geht es meist um die Kaufkraft der privaten Haushalte. Diese Kennzahl eignet sich sehr gut, um wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Wohlstand einzelner Region zu bewerten und miteinander zu vergleichen.

Die Kaufkraft der privaten Haushalte ist zunächst einmal definiert als das verfügbare Einkommen. Das ist in der Regel jener Geldbetrag, der vom Bruttoeinkommen übrig bleibt, wenn Steuern und Sozialabgaben gezahlt wurden. Aber auch Transferzahlungen wie Kindergeld, Arbeitslosengeld und Renten zählen zum verfügbaren Einkommen.

Wie es um die Kaufkraft der privaten Haushalte bestellt ist, hängt aber nicht nur von deren verfügbaren Einkommen ab, sondern auch vom Preisniveau – hier spielt also das Thema Inflation oder die sogenannte Kaufkraft des Geldes eine Rolle.

Wirtschaftswissenschaftler nutzen die Kennzahl der Kaufkraft häufig, um Regionen – beispielsweise die deutschen Landkreise oder Bundesländer – miteinander zu vergleichen. Denn die durchschnittliche Kaufkraft sagt viel über den Wohlstand einer Region aus.

West-Ost-Gefälle

Ein Kaufkraft-Vergleich für die Bundesrepublik zeigt ein zwiespältiges Bild: Zwar gibt es sowohl in den neuen als auch in den alten Bundesländern beides – prosperierende und darbende Regionen. Gleichzeitig ist aber auch 20 Jahre nach der Wiedervereinigung noch ein relativ großes Wohlstandsgefälle zwischen Ost und West festzustellen. Denn mit einem verfügbaren Realeinkommen von 17.900 Euro je Einwohner und Jahr ist die Kaufkraft sogar in den erfolgreichsten ostdeutschen Regionen noch immer um fast 300 Euro niedriger als in den schwächsten westdeutschen Regionen.

Beim Kaufkraftvergleich geht es, wie neue Statistiken nahelegen, übrigens nicht nur um Geld: Der Wohlstand einer Region scheint sogar die Lebenserwartung zu beeinflussen. Nach einer Studie der IW Consult GmbH wurden Menschen in den prosperierenden Gegenden Westdeutschlands im Jahr 2008 im Schnitt 81 Jahre alt und in den erfolgreichen Regionen Ostdeutschlands immerhin mehr als 79 Jahre. In Landkreisen mit niedriger Kaufkraft – und hoher Arbeitslosigkeit – betrug die durchschnittliche Lebenserwartung dagegen im Westen nur rund 79 Jahre und im Osten 78 Jahre.

Die „kalte“ Progression

Die sogenannte kalte Progression ist ein steuerlicher Effekt, der sich negativ auf die Kaufkraft auswirkt und wie folgt funktioniert: Angenommen, die Einkommen erhöhen sich in dem gleichen Maße wie die Preise. In diesem Fall bleibt zwar das reale Bruttoeinkommen konstant, weil durch das progressive deutsche Steuersystem aber überproportional höhere Steuern auf das höhere Einkommen zu zahlen sind, sinkt die Kaufkraft der Arbeitnehmer.

Ein Beispiel: Angenommen, ein verheirateter und alleinverdienender Facharbeiter verdient im Jahr 2011 brutto 43.000 Euro und die Verbraucherpreise steigen um 2,5 Prozent. Soll die Inflation ausgeglichen werden, müsste das Einkommen des Facharbeiters im Jahr 2012 ebenfalls um 2,5 Prozent auf 44.075 Euro angehoben werden.

Das Problem: Die Steuerlast des Facharbeiters steigt durch die Lohnerhöhung von 4.644 auf 4.902 Euro. Nominal verdient der Arbeitnehmer im Jahr 2012 nach Steuern mit 39.173 Euro dann zwar 818 Euro mehr als im Jahr zuvor. Berücksichtigt man allerdings die Inflation, bleiben in Preisen von 2011 gerechnet nur 38.218 Euro übrig – das sind 138 Euro weniger als im Vorjahr.

Dieses reale Minus zeigt sich auch beim Nettoeinkommen, also nach Abzug der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge. Der Facharbeiter hat aufgrund der kalten Progression im Jahr 2012 inflationsbereinigt nur 29.242 Euro zur Verfügung – statt zuvor 29.380 Euro. Aus der Einkommenserhöhung um 2,5 Prozent wird also am Ende ein Kaufkraftverlust von 0,5 Prozent.

Beseitigen ließe sich die kalte Progression am einfachsten, indem der Einkommenssteuertarif indexiert wird. Das bedeutet: Der Staat hebt alle Einkommensgrenzen im Steuertarif jedes Jahr um die Inflationsrate an – dann bliebe die Kaufkraft der Steuerzahler erhalten.

Allerdings gibt es auch Stimmen, die sich gegen eine Abschaffung der kalten Progression wenden. Sie argumentieren, dass sonst der Inflationsmentalität in Deutschland Tür und Tor geöffnet würde. Diese Meinung stellt darauf ab, dass zumindest ein Teil der zum Beispiel durch Gewerkschaften geforderten Lohnerhöhungen von der kalten Progression aufgezehrt werden. Fällt dieser Anteil weg, würden Gehaltserhöhungen die Inflation viel stärker anheizen.

Doch dieses Argument ist ökonomisch nicht nachvollziehbar, vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Die Gewerkschaften stellen in Zeiten höherer Preissteigerungen auch nominal höhere Lohnforderungen. Sie wissen, dass ansonsten durch das Zusammenwirken von Inflation und kalter Progression bei den Arbeitnehmern real weniger oder überhaupt nichts ankommt. Im Umkehrschluss wird die Abschaffung der kalten Progression also nicht die Inflationsmentalität schüren, sondern für mehr Stabilität und niedrigere Lohnaufschläge sorgen.

Kaufkraft der Lohnminute

Eine spezielle Betrachtung des Wohlstands und seiner Entwicklung ermöglicht ein Blick auf die Kaufkraft der Lohnminute. Sie fasst verschiedene Elemente der Kaufkraft-Betrachtung zusammen. Einerseits berücksichtigt sie die Inflationsrate. Denn wenn Produkte teurer werden, das Gehalt aber gleich bleibt, sinkt die Gütermenge, die man sich in einer Minute „erarbeiten“ kann.

Andererseits zeigt die Kaufkraft der Lohnminute, wie sich die Nettolohn- und Nettogehaltssumme im Lauf der Jahre entwickelt. Steigen Nettolohn oder -gehalt schneller als die Inflation, kann man sich mit einer Minute Arbeit mehr leisten als früher.

Bezieht man die Kaufkraft der Lohnminute dann noch auf einzelne Produkte, zeigt sich, wie unterschiedlich sich die Preise entwickelt haben. Nach Berechnungen des Institut der deutschen Wirtschaft musste man 1960 beispielsweise für ein Kilo Zucker im Durchschnitt noch eine halbe Stunde arbeiten, heute sind es nur noch 4 Minuten – der Lohn ist also deutlich schneller gestiegen als der Preis für ein Kilo Zucker.


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