Integration im Meinungsspiegel der Bevölkerung

Berufsorientierung und Arbeitsmarkt

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Hintergrundtext
27.08.2011

Integration im Meinungsspiegel der Bevölkerung

Auch das Thema Integration ist ein Beispiel dafür, dass öffentliche Meinung und veröffentlichte Meinung nicht immer ein und dasselbe sind.

Als Professor Dr. Klaus J. Bade im Mai 2010 das erste Jahresgutachten des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration vorstellte, widersprach er der öffentlichen Debatte in der Bundesrepublik: „Die Integration in Deutschland ist, trotz einiger Problemzonen, gesellschaftlich und politisch ein Erfolgsfall“, sagte der Migrationsforscher und fügte hinzu: „Sie ist im internationalen Vergleich viel besser als ihr Ruf.“ Das Team um Bade hatte mehr als 5.600 Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gefragt, wie sie die Integration in Deutschland einschätzen. Hier einige der – zum Teil überraschenden – Ergebnisse:

Zufriedenheit mit ihrer deutschen Heimat: Gefragt, ob sie sich in Deutschland wohlfühlen, sagen über 60 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund, dass sie sich „sehr wohl“ fühlen, und weitere 35 Prozent antworten mit „eher wohl“. Umgekehrt fühlen sich weniger als 5 Prozent der Migranten hier „eher nicht“ oder „gar nicht“ wohl. Dieses gute Ergebnis mag manchen überraschen – vor allem, wenn sie sich die Antworten der Deutschen anschauen: Von denen fühlen sich nämlich immerhin 6,5 Prozent „eher nicht“ oder „gar nicht“ wohl in ihrer Heimat – in Deutschland gibt es also mehr unzufriedene Deutsche als Migranten.

Vertrauen zu den Deutschen: 62 Prozent der Migranten vertrauen den Deutschen „eher“ und „voll und ganz“ – von den Deutschen vertrauen aber nur 54 Prozent den eigenen Landsleuten.

Einschätzung der Integrationspolitik: Ob mit oder ohne Migrationshintergrund – jeweils rund die Hälfte der Menschen sind der Meinung, die Integrationspolitik der letzten 5 Jahre habe die Integration von Zuwanderern „wesentlich“ oder zumindest „etwas“ verbessert. Jeweils ein weiteres Drittel sieht keine Veränderung und nur eine Minderheit – 9 Prozent der Deutschen und 16 Prozent der Migranten – meint, die Integration habe sich „etwas“ oder „wesentlich“ verschlechtert. Zu dieser negativen Sicht kommen laut Gutachten „vor allem gering Qualifizierte und Personen mit geringem Einkommen, die in Regionen mit hohem Zuwandereranteil und/oder hoher Arbeitslosigkeit leben“.

Politische Maßnahmen zur Verbesserung der Integration: Die große Mehrheit beider Gruppen – Menschen mit und ohne Migrationshintergrund – sieht als wichtigste Integrationsmaßnahmen die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Diskriminierung sowie das Angebot von Sprachkursen (jeweils 97 Prozent). Diesen Pragmatismus kommentieren die Migrationsforscher so: „Beide Seiten der Einwanderungsgesellschaft schließen sich gerade nicht der zum Teil in der politischen und publizistischen Diskussion hochgehaltenen Sicht an, dass staatliche Integrationspolitik zwischen unüberbrückbaren kulturellen beziehungsweise religiösen Besonderheiten und Partikularinteressen vermitteln müsse, sondern betonen vielmehr die lebenspraktischen Aufgaben.“

Verantwortung für Integration: Auch darüber, wer für eine erfolgreiche Integration verantwortlich ist, herrscht zwischen Migranten und Nicht-Migranten weitgehend Einigkeit: Jeweils rund 90 Prozent sehen „voll und ganz“ oder zumindest „eher“ die Zuwanderer in der Pflicht.

Erwartungen an die Zuwanderer: Der Trend zu weitgehend übereinstimmenden Einschätzungen setzt sich auch hier fort: Jeweils über 90 Prozent beider Gruppen erwarten von den Zuwandern vor allem, dass sie sich um Arbeit bemühen, einen guten Bildungsabschluss anstreben und sich an die in Deutschland gültigen Gesetze und Rechtsnormen halten. Die eigene religiöse und kulturelle Lebensweise aufzugeben, wird dagegen kaum erwartet – nur 8 Prozent der Einheimischen und 10 Prozent der Zugewanderten stimmen dem „voll und ganz“ zu; aber 26 bzw. 35 Prozent haben diese Erwartung „gar nicht“.

Erwartungen an die Gesellschaft: Fast 80 Prozent der Migranten und gut 70 Prozent der Einheimischen erwarten von der deutschen Gesellschaft, dass sie den Zuwanderern berufliche Chancen eröffnet. Noch höher sind die Erwartungen nur in einem Punkt: Jeweils rund 85 Prozent wollen, das Zuwanderer genauso behandelt werden wie Einheimische.

Diese Antworten zeigen: Zwar wird die aktuelle öffentliche Diskussion oft von gegenseitigen Schuldzuweisungen beherrscht – die einen reden von integrationsunwilligen Migranten, die anderen von fremdenfeindlichen Deutschen. Tatsächlich aber, so das Fazit der Migrationsforscher, haben beide Seiten – Mehrheits- und Zuwanderungsbevölkerung – ein „gemeinsames pragmatisches und lebenspraktisches Integrationsverständnis, das auf Forderungen kultureller Assimilation ebenso verzichtet wie auf das Reklamieren kultureller Sonderrechte.“

Türkische Migranten in Deutschland

Rund ein Drittel aller türkischstämmigen Migranten in Deutschland lebt in Nordrhein-Westfalen (NRW). Seit 1999 führt das Zentrum für Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen jedes Jahr eine repräsentative Umfrage unter ihnen durch – hier die wichtigsten Ergebnisse der Studie für das Jahr 2009:

Demografie: Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in Deutschland liegt bei 26 Jahren; drei Viertel der Befragten leben seit mindestens 20 Jahren hier; rund ein Viertel der Erwachsenen ist in Deutschland geboren.

Bildung: Insgesamt ist das formale Bildungsniveau relativ niedrig. Unter denjenigen, die die Schule in der Türkei absolviert haben, hat fast die Hälfte keinen qualifizierten Schulabschluss. Bei Bildungsinländern – und damit jüngeren Zugewanderten – ist das Niveau deutlich höher. Mehr als die Hälfte der türkischstämmigen Migranten verfügt nicht über eine berufliche Ausbildung, auch bei den unter 30-Jährigen liegt dieser Anteil bei mehr als einem Viertel.

Beruf und Einkommen: Unter den erwerbstätigen Migranten finden sich in NRW mit gut 50 Prozent sehr viel mehr an- und ungelernte Arbeiter und mit knapp einem Fünftel sehr viel weniger Angestellte als in der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Das monatliche Haushaltsnettoeinkommen ist mit durchschnittlich 2.016 Euro um mehr als 600 Euro geringer als in deutschen Haushalten, und das bei einer fast doppelt so hohen Personenzahl je Haushalt. Gut ein Drittel der türkischen Haushalte in NRW ist von Armut bedroht – deutlich mehr als in der Gesamtbevölkerung.

Identifikation: Die kulturelle Identität der türkischstämmigen Migranten ist zwiespältig: 58 Prozent lassen in der Kombination aus Rückkehrabsicht, Heimatverbundenheit, Staatsbürgerschaft und Einbürgerungsabsicht eine Mischidentität erkennen. Eindeutig auf die Türkei orientiert sind nur 15 Prozent, eine eindeutige Orientierung auf Deutschland findet sich bei gut einem Viertel.