„Verdienstchancen sind immer ein wichtiger Aspekt“

Berufsorientierung und Arbeitsmarkt

Sekundarstufe I + II

Interview
21.12.2021

In vielen Ausbildungsberufen können junge Berufstätige sehr hohe Gehälter einstreichen – allerdings sind das oft Jobs, die nicht so bekannt sind. In der Berufsorientierung muss deswegen noch einiges getan werden, sagt Ruth Maria Schüler, Expertin für Soziale Sicherung und Verteilung beim Institut der deutschen Wirtschaft.

Welches Ergebnis hat Sie bei Ihrer Studie zu den lukrativsten Jobs für Berufseinsteiger am meisten überrascht?

Wir haben festgestellt, dass die Berufe, die man unter den Top 20 sieht, nicht unbedingt die bekanntesten sind. Es war eine interessante Botschaft für uns, dass es viele Berufe gibt, in denen man gute Verdienstchancen hat, die aber viele junge Erwachsene vielleicht gar nicht auf dem Schirm haben.

Der Blick auf die höchsten Gehälter der Ausbildungsberufe könnte einen Schulabgänger auf den Gedanken bringen, dass sich ein Studium gar nicht lohnt.

Ob man studieren möchte oder nicht, ist natürlich eine ganz persönliche Entscheidung. Das hat viel damit zu tun, wie man sich Fähigkeiten aneignen möchte. Trotzdem gibt es eben auch Ausbildungsberufe wie den Luft- und Raumfahrttechniker, in denen man teils mehr verdienen kann als in Berufen, die ein Studium erfordern – beispielsweise als Innenarchitekt oder Dolmetscher.

Im Brandschutz oder der elektrischen Betriebstechnik werden trotz hoher Gehälter händeringend Fachkräfte gesucht. Was muss getan werden, wenn das Gehalt für junge Menschen nicht Motivation genug ist?

Am wichtigsten ist es, die Sichtbarkeit dieser Berufe zu erhöhen. Der Schlüssel liegt in der Berufsorientierung. Es muss unter jungen Leuten einfach bekannter werden, was man in und mit den Berufen alles machen kann – also was die genauen Tätigkeiten und Anforderungen betrifft und wie spannend bislang wenig bekannte Berufe eigentlich sein können. Dann ist es umso schöner, wenn man zusätzlich noch auf das hohe Gehalt hinweisen kann. Verdienstchancen sind immer ein wichtiger Aspekt bei der Berufswahl, genauso wie das Potenzial des Berufs am Arbeitsmarkt. All das müsste in der Berufsorientierung stärker vermittelt werden.

Noch erfolgreicher wäre wahrscheinlich eine Vorabendserie, in der jemand genau einen solchen unbekannten Beruf ausübt.

Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Junge Menschen wollen oft die Jobs machen, die sie kennen – zum Beispiel durchs Fernsehen oder weil jemand aus dem direkten Umfeld genau diesen Beruf ausübt. Die Berufswahl hat immer viel mit dem sozialen Umfeld zu tun. Dazu gehört auch alles, was sonst im öffentlichen Leben passiert. Jeder geht zum Friseur, kauft Brötchen ein oder fährt mit der Straßenbahn. Aber darüber hinaus gibt es nun mal noch viele andere spannende Berufe, die nicht so bekannt sind. Es wäre deswegen sehr schön, auch mal von der klassischen Berufsorientierung abzuweichen und Kanäle zu finden, die junge Leute direkt im Alltag erreichen.

Sie benennen die 20 lukrativsten Berufe für junge Leute. Aus rein monetären Gründen sollte sich doch aber niemand für oder gegen einen Beruf entscheiden, oder?

Genau. Es ist immer wichtig, dass man einen Beruf wählt, an dem man bestenfalls ein Leben lang Freude hat und der zu den eigenen Interessen und Fähigkeiten passt. Deswegen ist der Lohn auch nur ein Merkmal von vielen, die die Attraktivität eines Berufes ausmachen.

Gehaltsstrukturen sind immer Momentaufnahmen. Die höchsten Gehälter werden aktuell oft in der Metall- und Elektroindustrie gezahlt. Wie wahrscheinlich ist es, dass Berufstätige in dieser Branche auch in 20 Jahren noch überdurchschnittlich verdienen?

Im vergangenen Jahr haben wir durch die Corona-Pandemie erlebt, dass die Fachkräfteengpässe zurückgegangen sind. Allerdings kann man schon jetzt wieder eine Trendwende sehen, vor allem bei den Expertenberufen. Der Mangel an Arbeitskräften in der Metall- und Elektrobranche wird sich also schnell wieder auf das Vorkrisenniveau zurückentwickeln.

Hinzu kommt, dass wir in Deutschland künftig noch stärker die Alterung der Gesellschaft zu spüren bekommen, auch weil die Babyboomer bald in Rente gehen. In vielen Berufen kommen also noch weitere große Engpässe auf uns zu.

Natürlich verändern sich auch viele Wirtschaftsbereiche, etwa durch die Dekarbonisierung und mit dem Umstieg auf alternative Antriebe in der Automobilindustrie. Das heißt aber nicht automatisch, dass die Leute dort ersatzlos wegfallen, sondern dass sich die Berufsbilder verändern werden. Ich gehe davon aus, dass sich die Engpässe in den Branchen zwar verschieben, aber dass sie weiter existieren werden.

Und was ist, wenn die heute lukrativen Jobs demnächst durch künstliche Intelligenz oder anderen technischen Fortschritt überflüssig werden?

Trotz künstlicher Intelligenz werden immer noch Menschen benötigt, die die Prozesse überwachen. Also wird es keine komplette Substitution geben. Berufsfelder werden sich durch den Einsatz von KI verändern, aber sie werden dadurch nicht vollkommen überflüssig. Weiterbildung bleibt in dieser Hin-sicht das A und O. Es ist nicht mehr so, dass man einen Beruf erlernt und den bis zur Rente genauso ausübt, sondern dass man immer wieder seine Kompetenzen an das, was Gesellschaft und Technik erfordern, anpassen muss. Das Stichwort lautet hier lebenslanges Lernen. Arbeit wird künftig noch sehr viel dynamischer, als wir sie bisher kennen.

Wenn aus Ihrem näheren Umfeld jemand gerne eine Ausbildung machen möchte, die nicht unbedingt gut bezahlt ist, zum Beispiel als Erzieher, was würden Sie ihm oder ihr sagen?

Dann würde ich sagen, dass der Beruf des Erziehers sehr gefragt ist und das wohl auch bleiben wird. Ich persönlich würde niemals einem jungen Menschen einen Berufswunsch ausreden, wenn er oder sie davon begeistert ist und glaubt, damit glücklich zu werden. Auf die Verdienstchancen hinzuweisen, schadet aber sicher nicht und kann einer Ernüchterung bei Berufseintritt vorbeugen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf iwd.de.