Der Wohlstandseffekt der Hauptstadt

Globalisierung und Europa

Sekundarstufe I + II

Hintergrundtext
25.10.2023
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Die europäischen Hauptstadtregionen beeinflussen die Wirtschaftskraft ihres jeweiligen Landes durchweg positiv. Der Effekt fällt allerdings unterschiedlich stark aus. Ein Zehnjahresvergleich offenbart zudem die Boom-Metropolen und jene, die wirtschaftlich an Bedeutung verloren haben.

Ob Athen, Stockholm oder Prag: In den EU-Staaten sorgten die jeweiligen Hauptstadtregionen im Jahr 2021 für eine höhere Wirtschaftsleistung pro Kopf.

Mittlerweile gilt dieser Befund für alle vom Institut der deutschen Wirtschaft untersuchten Länder in der Europäischen Union, für die Eurostat entsprechende Regionaldaten vorhält, gleichermaßen.

Vor einer Dekade gab es noch einen Ausreißer: Im Jahr 2011 hatte Berlin als einzige EU-Hauptstadtregion die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung seines Staates gedrückt. Ohne Berlin wäre das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf in Deutschland um knapp 0,1 Prozent höher ausgefallen.

Berlin mit Abstand Schlusslicht

Inzwischen würde die hiesige Wirtschaftskraft ohne Berlin zwar sinken, allerdings nur um gut 0,1 Prozent. Damit ist die Bundeshauptstadt weiter und mit Abstand das Schlusslicht im IW-Ranking: Ohne Rom, das auf dem vorletzten Platz liegt, wäre das italienische BIP pro Kopf um immerhin rund 1,6 Prozent niedriger.

Das liegt auch daran, dass der deutsche Staat föderalistisch organisiert ist und eine ganze Reihe von Wirtschaftszentren hat. Dazu zählen neben Metropolen wie Hamburg und München auch viele Städte und Gemeinden im ländlichen Raum. Dort sind zahlreiche erfolgreiche Mittelständler, oft hochspezialisierte Weltmarktführer, angesiedelt.

An der Spitze der Hauptstadteffekte stehen zwei osteuropäische Hauptstadtregionen – Sofia in Bulgarien und Budapest in Ungarn. Ohne sie läge das Pro-Kopf-BIP der Staaten um 29 respektive 24 Prozent niedriger.

Um herauszufinden, welche Hauptstadtregionen aktuell boomen und welche – zumindest relativ gesehen – an Bedeutung verlieren, hat das IW die jeweiligen Effekte aus dem Jahr 2021 – neuere Daten gibt es nicht – mit denen von 2011 verglichen (Grafik):

Binnen zehn Jahren hat sich die Bedeutung der Regionen um Kopenhagen und Sofia besonders eindrücklich erhöht. Der Hauptstadteffekt auf das BIP pro Kopf stieg in Dänemark um 3,6 und in Bulgarien um 1,9 Prozentpunkte.

Was das bedeutet, illustriert der Status quo: In Bulgarien wurde im Jahr 2021 rund die Hälfte des BIP in der Hauptstadtregion erwirtschaftet, in Dänemark waren es immerhin 43 Prozent. Den gegenläufigen Trend erlebten vor allem Portugal, Österreich und Ungarn. Innerhalb des Zeitraums reduzierte sich der Effekt Lissabons um 4,2 Prozentpunkte, Wiens Effekt ging um annähernd 2,6 Punkte zurück und für Budapest lag das Minus bei 2,3 Punkten.

Unterschiedliche Wachstumsmodelle in der EU

Eine naheliegende Erklärung für diese konträre Entwicklung wäre, dass sich der Hauptstadteffekt in einem Land mit stark wachsender Wirtschaft verringert, weil andere Regionen wirtschaftlich zur jeweiligen Metropolregion aufschließen konnten.

Zwar gilt das wohl für Ungarn mit seiner relativ gesehen schwächelnden Hauptstadtregion Budapest – das reale Bruttoinlandsprodukt Ungarns legte pro Kopf binnen zehn Jahren um fast 35 Prozent zu.

Doch auch Bulgariens Wirtschaft wuchs um mehr als 30 Prozent, was dem Hauptstadteffekt Sofias aber keinen Dämpfer versetzte. Und Wiens Wirtschaft verlor signifikant an Relevanz, obwohl die österreichische Wirtschaft innerhalb der zehn betrachteten Jahre pro Kopf um weniger als 2 Prozent zulegte.

In der EU zeigt sich schließlich die Vielschichtigkeit der Wachstumsmodelle. Dazu gehört auch, dass Deutschland zuletzt leicht von Berlin profitieren konnte. Das Groß des Wachstums kommt hierzulande aber weiterhin aus den Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg.

Dieser Artikel erschien zuerst auf iwd.de