Die Schuldenländer: Griechenland

Globalisierung und Europa

Gymnasien, Realschule, Hauptschule | Sekundarstufe I + II

Hintergrundtext
21.08.2018
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Die Ausgangslage: Hinter der extrem hohen Staatsverschulung steckt unter anderem die Tatsache, dass Kredite für Griechenland mit dem Euro-Beitritt wesentlich günstiger wurden – und die Griechen das ausnutzten, um ihren Konsum anzukurbeln. Da diesem Wohlstand auf Pump keine entsprechenden (Export-)Einnahmen gegenüberstanden, hat Griechenland im Laufe der Jahre sehr hohe Leistungsbilanzdefizite aufgebaut. Zu den größten strukturellen Problemen Griechenlands zählen ein überdimensionierter und zugleich ineffizienter Staat, ein desolates Steuersystem, ausufernde Sozialausgaben und nicht zuletzt eine schon lange nicht mehr wettbewerbsfähige Wirtschaft.

Das Kernproblem der griechischen Wirtschaft ist, dass sie zum überwiegenden Teil aus Dienstleistungen (rund 70 Prozent) besteht, während der Anteil der Industrie am BIP mit rund 12 Prozent relativ klein ist (zum Vergleich: in Deutschland beträgt der Industrie-Anteil 25 Prozent). Auffallend ist vor allem der große – und wachsende – öffentliche Sektor: So arbeitete im Jahr 2010 jeder elfte Beschäftige in der öffentlichen Verwaltung (einschließlich Verteidigung und Sozialversicherungen). Dieser Anteil dürfte aufgrund der inzwischen eingeleiteten Reformen zwar zurückgehen, doch der Personalabbau erhöht zunächst einmal nur die Arbeitslosigkeit – denn bis Griechenland neue konkurrenzfähige Jobs schaffen kann, wird es wohl noch eine ganze Weile dauern.

Die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit des Landes ist exemplarisch an seiner chronisch defizitären Handelsbilanz abzulesen. Zwar ist das Minus infolge sinkender Importe nach der Finanz- und Wirtschaftskrise zurückgegangen, dennoch kaufte Griechenland auch in den Jahren 2010 bis 2012 noch mehr Waren und Dienstleistungen im Ausland ein, als es umgekehrt ins Ausland verkaufte. Allerdings ist das Minus inzwischen (2012) auf rund 22 Milliarden Euro gesunken. Im Jahr 2008 hatte es noch 43 Milliarden Euro betragen, das waren rund 11 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Die Situation im Sommer 2013: Das Land befindet sich in der größten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Griechenlands Bruttoinlandsprodukt schrumpft seit 2008 ununterbrochen – mit minus 7 Prozent hatte die Rezession im Jahr 2011 wahrscheinlich ihren Höhepunkt erreicht, im Jahr 2012 ging die griechische Wirtschaftsleistung „nur“ noch um 6,3 Prozent zurück. Für 2013 rechnet die EU noch einmal mit einem Minus von gut 4 Prozent, bevor es dann 2014 mit 0,6 Prozent erstmals wieder ein kleines Plus geben soll. Bis dahin wird die griechische Wirtschaftsleistung allerdings – von 2008 an gerechnet – um insgesamt fast 25 Prozent eingebrochen sein. Zum Vergleich: Die deutsche Wirtschaft erreicht von 2008 bis 2014 voraussichtlich ein BIP-Wachstum von insgesamt 13 Prozent.

Die Entwicklung in Griechenland ist umso schlimmer, als sich an den eigentlichen Problemen des Landes so gut wie nichts geändert hat. Zwar ist die Staatsverschuldung 2012 gesunken, doch das war lediglich dem Schuldenschnitt von rund 100 Milliarden Euro zu verdanken – und nur vorübergehend: Denn im Jahr 2013 wird Griechenland mit 176 Prozent seines BIP in der Kreide stehen, also um fast 50 Prozentpunkte mehr als zu Beginn der Krise und höher als je zuvor. Die von der Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF) angestrebte Schuldentragfähigkeit des Landes (eine Staatsverschuldung von höchstens 120 Prozent des BIP) rückt damit in weite Ferne. Immer mehr Ökonomen sowie der IWF gehen deshalb davon aus, dass Griechenland nur dann wieder auf die Beine kommen kann, wenn es einen weiteren Schuldenschnitt gibt. Bei dem würden dann die staatlichen Gläubiger zur Kasse gebeten, also letztlich die Steuerzahler der Euro-Zone, allen voran die Deutschen, die gemäß ihres Anteils an den Rettungsschirmen rund 27 Prozent davon zu tragen hätten.

Bei all diesen Zahlen und Statistiken ist eines noch gar nicht berücksichtigt: Die demoralisierte Stimmung in der griechischen Bevölkerung. Dafür gibt es gute Gründe, wie folgende Beispiele zeigen:

  • Seit 2008 hat sich die Arbeitslosenquote in Griechenland auf mehr als 24 Prozent verdreifacht, unter den Jugendlichen beträgt sie sogar fast 60 Prozent.
  • Nach Angaben des griechischen Einzelhandelsverbandes musste allein in Athen ein Drittel aller Geschäfte schließen.
  • Im Juni 2013 stufte der New Yorker Finanzdienstleister MSCI Griechenland von der Kategorie „Developed Markets“ (entwickelte Märkte) in die Kategorie „Emerging Markets“ (aufstrebende Märkte“) zurück. Mit anderen Worten: Griechenland gilt seitdem als Schwellenland – eine solche Zurückstufung hat es in Europa zuvor noch nie gegeben.

Die aktuelle Lage: „Eigentlich“ – mit diesem schwer in andere Sprachen zu übersetzenden Wort ist die derzeitige Situation in Griechenland vielleicht am besten beschrieben. Denn „eigentlich“ waren die Griechen – jedenfalls aus Sicht der anderen Euroländer – auf dem richtigen Weg: Nach sechs Jahren Rezession gab es 2014 erstmals wieder ein kleines Plus beim Wirtschaftswachstum, die chronisch defizitäre Leistungsbilanz war fast schon ausgeglichen und auch die – allerdings immer noch sehr hohe – Arbeitslosenquote war immerhin erstmals seit sechs Jahren leicht gesunken.

Doch dann kamen die Parlamentswahl im Januar 2015, bei der die Regierung Samaras abgewählt und mit der Koalition aus linkssozialistischer Syriza und der rechtspopulistischer Anel erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg in Griechenland eine Regierung im Amt ist, die nicht von einer der beiden großen Parteien – Nea Dimokratia und Pasok – angeführt wird.

Der neue Ministerpräsident Alexis Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis wollen einen „New Deal“, das heißt, sie lehnen die bisherige Rettungsstrategie der sogenannten Institutionen EU, Internationaler Währungsfonds und Europäische Zentralbank (vormals „Die Troika“ genannt) vehement ab und verlangen statt dessen vor allem einen Schuldenschnitt sowie den Verzicht auf weitere soziale Einschnitte wie Gehalts- und Rentenkürzungen oder Steuererhöhungen.

Weil die Auszahlung der Gelder aus dem Rettungsfonds ESB aber streng dem Prinzip der Konditionalität folgt, also nur jenen Ländern geholfen wird, die sich im Gegenzug zu bestimmten Reformen verpflichten, zog sich der Streit um die Auszahlung der nächsten Tranche von 7,2 Milliarden Euro bis in den Juni 2015 hin. Und weil es zu keiner Einigung kam, ließ Ministerpräsident Tsipras die Griechen am 5. Juli in einem Referendum darüber abstimmten, ob Regierung in Athen die Reformauflagen akzeptieren soll oder nicht.

Zwar stimmten rund 61 Prozent Griechen mit Nein, lehnten also die Reformauflagen ab, weil die Eurostaaten aber nicht zu weiteren Zugeständnissen bereit waren, musste Ministerpräsident Tsipras knapp zwei Wochen später genau jene Reformauflagen durchs griechische Parlament bringen, die nicht nur das griechische Volk, sondern auch er selbst und seine Regierungskoalition zuvor immer als „inakzeptabel“ abgelehnt hatte.

Nachdem das griechische Parlament die Reformauflagen grundsätzlich akzeptiert hatte, gab der Deutsche Bundestag am 17. Juli der Bundesregierung das Verhandlungsmandat für das weitere Vorgehen; das heißt, Deutschland und die anderen Eurostaaten – von denen einige zuvor ebenfalls die Zustimmung ihrer Parlamente einholen mussten – handelten mit der griechischen Regierung die konkreten Bedingungen für ein drittes Hilfsprogramm aus.

Mitte August war es dann soweit: Beide Seiten einigten sich darauf, dass Griechenland in den kommenden drei Jahren zwischen 82 und 86 Milliarden Euro an Finanzhilfen in mehreren Tranchen bekommt – und die erste Tranche von 23 Milliarden Euro wurde auch sofort freigegeben. Die weiteren Überweisungen sollen davon abhängen, ob Griechenland die von den Euroländern geforderten Reformen einhält. Dazu gehören vor allem:

  • eine Reform des Rentensystems, insbesondere eine Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre
  • höhere Mehrwertsteuersätze
  • Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt, darunter erleichterte Entlassungen und modernere Verfahren bei den Tarifverhandlungen
  • eine Verwaltungsreform
  • die Privatisierung von Staatsvermögen – zum Beispiel Regionalflughäfen – in Höhe von 50 Milliarden Euro

Zwar hatte Regierungschef Tsipras die Forderungen der Gläubiger durchs griechische Parlament bekommen, allerdings nur mit den Stimmen der Opposition. Weil er keine eigene Mehrheit mehr hatte, trat er am 20. August zurück, um so vorgezogene Neuwahlen zu ermöglichen – die Tsipras und seine Partei Syriza nach Einschätzung von Beobachtern gewinnen wird. Bis zur Wahl am 20. September ist Vassiliki Thanou, Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, die geschäftsführende Ministerpräsidentin.