Die Schuldenländer: Italien

Globalisierung und Europa

Gymnasien, Realschule, Hauptschule | Sekundarstufe I + II

Hintergrundtext
21.08.2018
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Die Ausgangslage: Die drittgrößte Volkswirtschaft des Euro-Raums ist – anders als Griechenland, Portugal und Irland – nicht durch die Finanzkrise in die roten Zahlen gerutscht, sondern praktisch allein durch ihre quasi traditionell schlechte Haushaltsführung. Italien hatte schon bei seiner Aufnahme in die Währungsunion vor gut 20 Jahren eine Gesamtverschuldung von 122 Prozent des BIP – und damit doppelt so viel, wie nach den Maastricht-Kriterien erlaubt. Inzwischen beträgt die Schuldenquote sogar 127 Prozent (2012). In Europa stehen nur die Griechen noch tiefer in der Kreide.

Hinzu kommt, dass Italien im Vergleich zu den anderen großen Euro-Ländern Frankreich und Deutschland auch beim Wachstum hinterherhinkt. Ein Grund dafür ist, dass Italiens Wirtschaft in den aufstrebenden Schwellenländern nicht besonders stark engagiert ist und folglich auch nicht vom Boom dieser Regionen profitieren kann. Der Inlandsmarkt leidet dagegen vor allem unter den sinkenden Bauinvestitionen und unter der Kaufzurückhaltung der Verbraucher.

Das wohl größte Problem aber war viele Jahre lang die Regierung in Rom. Der ehemalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi, Chef einer Mitte-Rechts-Koalition, hatte in seiner 4. Regierungszeit (Mai 2008 bis November 2011) aufgrund zahlreicher Affären und Skandale so viel Rückhalt in der Bevölkerung verloren, dass er nach Ansicht internationaler Beobachter nicht mehr in der Lage war, die dringend benötigten Wirtschaftsreformen in seinem Land durchzusetzen. Und Berlusconis Nachfolger Mario Monti genoss zwar großes internationales Ansehen, doch im Inland konnte der parteilose Wirtschaftswissenschaftler während seiner Regierungszeit (November 2011 bis April 2013) kaum Reformen durchsetzen. Seit April 2013 führt Enrico Letta von der Demokratischen Partei (PD) die Regierungskoalition mit der PDL-Partei Berlusconis und der Zentrumspartei Mario Montis. Politische Beobachter befürchten, dass die neue Regierung zunächst nicht viel mehr versuchen wird, als dem eigentlichen Gewinner der Wahl – der Protestbewegung des Komikers Beppe Grillo, die bei den Wahlen 25 Prozent geholt hat – den Rang abzulaufen.

Die Situation im Sommer 2013: Italien befindet sich in einer Rezession. Das Bruttoinlandsprodukt ist im Jahr 2012 um 2,6 Prozent gesunken, und auch 2013 wird es nach EU-Prognosen einen weiteren Rückgang um fast 2 Prozent geben. Das politisch brisanteste Problem aber ist die exorbitant hohe Arbeitslosigkeit unter den Jugendlichen: Im April 2013 lag die Arbeitslosenquote der 15- bis 24-jährigen Italiener und Italienerinnen bei 40 Prozent. Nicht zuletzt deshalb dreht sich die öffentliche Diskussion in Italien vor allem darum, die Strategie des Sparens – wie es die EU fordert – zu beenden und stattdessen staatliche Konjunkturprogramme aufzulegen. Die Regierung von Ministerpräsident Letta will 3 Milliarden Euro in die Infrastruktur investieren und verspricht sich davon 30.000 neue Arbeitsplätze.

Die aktuelle Lage: Italien hat zwar im Gegensatz zu Griechenland, Portugal, Irland, Spanien und Zypern nie Geld aus dem europäischen Rettungsfonds beantragt, die ökonomischen Kennzahlen aber sind seit Jahren so schlecht, dass das Land quasi ein permanenter Kandidat für die nächste Rettungsaktion war – manche sagen auch: noch immer ist.

Mitten in der Krise – im Frühjahr 2013 – taten die Italiener das, was sie immer tun, wenn etwas schiefläuft: Sie wählten eine neue Regierung. Doch die Amtszeit des neuen Ministerpräsidenten Enrico Letta hielt nicht einmal ein Jahr, dann folgte Matteo Renzi – und mit ihm die 64. Regierung seit 1945. „Jeden Monat eine Reform“, hieß Renzis ehrgeizige Parole, doch bis heute sieht es nicht danach aus, als könne er das seit Jahrzehnten alles bremsende Parteiengerangel in Italien aufbrechen und die dringend nötigen Strukturreformen einleiten: Der italienische Arbeitsmarkt gilt als verkrustet, die Industrie hat allein zwischen 2007 und 2013 mit fast 1 Million rund ein Siebtel ihrer Arbeitsplätze verloren, und seit Jahr und Tag ist das Land in einen armen Süden und einen relativ reichen Norden gespalten.

Italiens Wirtschaft ist vom dem dritten Quartal 2011 bis Ende 2014 nicht gewachsen, die EU-Kommission geht aber davon aus, dass das Land in diesem Jahr ein kleines Plus von 0,6 Prozent schafft – ob das die Trendwende oder nur ein Strohfeuer ist, bleibt abzuwarten. Die vergleichsweise hohe Arbeitslosenquote von 12,7 Prozent (2014) soll sich jedenfalls kaum verbessern, mit den prognostizierten 12,4 Prozent in diesem und im nächsten Jahr läge die drittgrößte Volkswirtschaft der EU in Sachen Arbeitslosigkeit gut ein Drittel über dem EU-Durchschnitt.