Zahlungssalden der EU-Mitgliedsstaaten sorgen für Transparenz

Globalisierung und Europa

Sekundarstufe I + II

Hintergrundtext
16.12.2022
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Über 21 Milliarden Euro hat Deutschland im Jahr 2021 mehr in den EU-Haushalt eingezahlt, als es aus EU-Töpfen erhalten hat. Das zeigt eine neue Auswertung des IW. Am meisten Geld erhalten hat demnach Polen und insgesamt gab es mehr Empfänger als Zahler.

Im Jahr 2020 hat die EU-Kommission damit aufgehört, die Nettopositionen der einzelnen Mitgliedsstaaten gegenüber dem EU-Haushalt zu veröffentlichen. Offiziell erfährt seither also niemand mehr, welche Staaten Nettozahler und welche Nettoempfänger sind und wie viel Geld die EU Europas Bürger unterm Strich kostet.

Für das IW war dieser Zustand unbefriedigend. Nicht, weil das Institut der deutschen Wirtschaft Sinn und Nutzen der EU infrage stellt, sondern weil es in den Augen der Ökonomen zentral ist, dass größtmögliche Transparenz herrscht, wenn irgendwo Steuergelder ausgegeben werden.

Deshalb hat das IW die Nettopositionen gegenüber dem EU-Haushalt selbst berechnet und kommt zu diesem Befund (Grafik):

Mit deutlich über 21 Milliarden Euro war Deutschland 2021 der mit Abstand größte Nettozahler der EU, gefolgt von Frankreich, das allerdings nur auf etwas mehr als die Hälfte an Nettozahlungen kommt.

Am anderen Ende des Rankings steht Polen – durch EU-Gelder hatte es 2021 fast 13 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung. Insgesamt gab es im vergangenen Jahr zehn Nettozahler und 17 Nettoempfänger.

Den Berechnungsansatz, den das IW verwendet, nutzte früher auch die Kommission: Neben Zöllen bleiben die Verwaltungsausgaben – vor allem in Belgien und Luxemburg – außen vor, durch sie würde Belgien wegen all der EU-Institutionen im Land zu einem der größten Nettoempfänger, obwohl es Nettozahler ist.

Im Vergleich von 2021 mit 2020 fällt auf, dass vor allem Deutschland zuletzt deutlich mehr gezahlt hat – 21,4 statt 15,5 Milliarden Euro wie im Vorjahr. Das lag vor allem am Brexit: Weil Großbritannien aus der EU austrat, mussten andere Staaten dessen Anteil am Budget übernehmen – in erster Linie war das Deutschland. Die Geldflüsse an den EU-Haushalt orientieren sich hauptsächlich am Bruttonationaleinkommen (BNE). Der Anteil Deutschlands am BNE der EU stieg von 21,9 Prozent im Jahr 2020 auf 25,4 Prozent im Jahr 2021.

Ganz unproblematisch ist der Blick auf die Milliardenbeträge allerdings nicht. Schließlich lässt er außer Acht, wie bevölkerungsreich ein Land ist und wie es um sein gesamtwirtschaftliches Einkommen bestellt ist.

EU-Zahlungen als Anteil am Bruttonationaleinkommen

Für den zweiten Aspekt kann das BNE – alle von Inländern erwirtschafteten Einkommen, gleichgültig, ob im Inland oder im Ausland erzielt – herangezogen und in Relation zu den EU-Zahlungen gesetzt werden:

In Relation zum BNE lag Deutschland beim Zahlungssaldo mit dem EU-Haushalt 2021 weiterhin an der Spitze – mit etwa 0,6 Prozent. Auf den nächsten drei Nettozahlerpositionen ändert sich indes die Reihenfolge gegenüber der reinen Betrachtung der Geldströme – die Niederlande belegen Rang zwei, gefolgt von Schweden und Frankreich.

Den höchsten Anteil erhält Kroatien mit fast 3,1 Prozent seines BNE, gefolgt von Litauen und Ungarn. Bei dieser Betrachtung fällt auf, dass alle Geberländer deutlich unter 1 Prozent ihres BNE an die Europäische Union transferieren, während die Empfänger Nettotransfers aus Brüssel in Höhe von mehreren Prozent ihres jeweiligen BNE erhalten. Entsprechend schmerzhaft könnten die finanziellen Druckmittel der EU beispielsweise bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit sein.

Was pro Kopf fließt

Noch einmal anders stellen sich die Zahlungsflüsse im EU-Kontext dar, wenn man darauf abstellt, wie viel Geld pro Kopf fließt (Grafik):

Deutschland lag mit Abflüssen von fast 258 Euro je Einwohner im Jahr 2021 an der Spitze, allerdings dicht gefolgt von Dänemark. Am meisten Geld bekamen pro Einwohner die Litauer und Esten – jeweils deutlich über 550 Euro.

Im Zeitverlauf zeigt sich bei dieser Pro-Kopf-Betrachtung, dass die Nettozahler seit vielen Jahren immer mehr Geld an die EU transferieren. Das Bild ist in dieser Ländergruppe deutlich einheitlicher als bei den größten Nettoempfängern: Die baltischen Staaten und Ungarn bekommen tendenziell zwar mehr Geld, doch die Auszahlungen schwanken enorm – beispielsweise betrugen die EU-Mittel, die per saldo nach Litauen flossen, zwischen 185 Euro je Einwohner im Jahr 2015 und 766 Euro im Jahr 2020.

Im Ergebnis plädiert das IW dafür, dass die EU-Kommission die Haushaltssalden künftig wieder selbst aufbereitet und veröffentlicht, um ihnen so ein offizielles Siegel zu geben. Zudem sollte keinesfalls damit argumentiert werden, dass die Zahlungen an die EU auch für Deutschland unterm Strich gar nicht so stark ins Gewicht fallen, weil es viel größere Haushaltspositionen gibt. Die Nettozahlungen Deutschlands von zuletzt rund 21 Milliarden Euro entsprechen nämlich immerhin in etwa dem Jahresbudget des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

Dieser Artikel erschien zuerst auf iwd.de