Ist die Globalisierung der Industrie ein Auslaufmodell?

Globalisierung und Europa

Sekundarstufe I + II

Pro und Contra
18.05.2020

In vielen deutschen Industriebetrieben standen die Bänder nicht nur deshalb wochenlang still, weil Mitarbeiter wegen der Ansteckungsgefahr durch das Coronavirus zu Hause bleiben mussten, sondern auch, weil Vorprodukte aus dem Ausland fehlten. Während einige Unternehmer die Globalisierung nach wie vor befürworten, sehen andere Firmenchefs die internationnale Arbeitsteilung kritisch.

Nicht abhängig zu sein von globalen Partnern stellt sich für unser Unternehmen gerade jetzt als Segen heraus, sagt Tina Gerfer, Geschäftsführerin des Kölner Spezialmaschinenherstellers Wilhelm Rasch. Die Krise enthüllt die eigenen Stärken und Schwächen – machen und lernen wir etwas daraus!

Diese Frage muss man sich angesichts der durch die Corona-Krise aufkommenden Probleme für das Produzierende Gewerbe durchaus stellen. Für Familienunternehmer wie für uns als Spezialmaschinenhersteller war das allerdings immer schon ein Thema. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass es zu Zeiten meines Großvaters völlig selbstverständlich war, so gut wie alle Teile selbst zu fertigen. Ein entsprechend hoher Spezialisierungsgrad der Mitarbeiter war normal, der Bestand an Fertigungsmaschinen enorm. Mit der fortschreitenden Globalisierung in den vergangenen drei Jahrzehnten mussten auch wir uns fragen, ob es sich lohnt, alte Maschinen gegen neue, computergesteuerte Nachfolger auszutauschen.

Wir haben im ersten Schritt in moderne CAD-Fräsmaschinen investiert, auf denen wir mittlerweile die für unsere Maschinen benötigten Wickelwerkzeuge komplett selbst fertigen. Diesen Schritt haben wir uns sehr lange überlegt, aber nur so stellen wir sicher, dass wir unseren Werkzeugbau unabhängig von Zulieferern managen können. Die Programme für unsere CAD-Maschinen schreiben wir ebenfalls selbst, sind also auch hier nicht von Dienstleistern abhängig.

Allerdings kam es auch bei uns dazu, dass wir uns zunehmend auf die Suche nach globalen Zulieferern für mechanische Standardkomponenten gemacht haben, da es auf den ersten Blick viel preiswerter schien, als in die eigene Infrastruktur zu investieren. Elektroteile kaufen wir ausschließlich im deutschen Markt zu, Fernost war für uns schon aufgrund unserer geringen Stückzahlen keine wirkliche Alternative, auch wenn man anfangs, weil es ja schließlich modern war, vielleicht damit geliebäugelt hat.

Schnell hatten wir sowohl lokale als auch weitere deutsche und europäische Partner identifiziert, die wir bei Kapazitätsengpässen in der Eigenfertigung immer noch beauftragen. Jedoch gab und gibt es mit einzelnen Zulieferern immer wieder Probleme mit Lieferterminen und Qualität. Einerseits mag dies sicherlich daher kommen, dass wir unseren Kunden auch für alte Maschinen immer noch Ersatzteile liefern, deren Zeichnungen häufig noch nicht CAD-technisch aufgearbeitet wurden. Andererseits liegt es wohl aber auch an der Sorgfalt bei der Herstellung.

Masse ist eben nicht das, wofür wir als Spezialmaschinenhersteller stehen. Daher haben wir uns vor einiger Zeit entschlossen, auch in die Modernisierung unserer übrigen Produktionsmaschinen für mechanische Teile zu investieren. Spezialmaschinenbau bedeutet häufig Einzelfertigung rund ums Produkt und daher geringe Stückzahlen. Bauen wir Prototypen oder testen eine neue Wickeltechnik, benötigen wir oft ganz schnell neue, etwas modifizierte Teile. Genau hier bewähren sich unsere hohe Eigenfertigungstiefe und starken lokalen Partner, die auf Zuruf immer da sind. Nicht abhängig zu sein von globalen Partnern stellt sich für uns gerade jetzt als Segen heraus. Die Krise enthüllt die eigenen Stärken und Schwächen – machen und lernen wir etwas daraus!

 

Globalisierung und Freihandel sind die Voraussetzung dafür, dass wir die großen Zukunftsthemen gelöst bekommen: schnellere Digitalisierung, gute Infrastruktur, mehr regenerative Energieerzeugung, Erreichung der Klimaziele und eine neue Mobilität, sagt Arndt G. Kirchhoff, Geschäftsführender Gesellschafter der Kirchhoff-Gruppe, eines Automobilzulieferers mit Sitz in Iserlohn.

Die Globalisierung wurde leider in der letzten Zeit durch die Einführung von Zöllen, zunehmenden Protektionismus und zähe Diskussionen über Freihandelsabkommen zurückgeworfen. Dabei ist die Globalisierung ein Wohlstandstreiber. Sie sorgt für die Übertragung von Know-how und den Aufbau von Arbeitsplätzen, gerade auch in Entwicklungsregionen. Dort haben Bildungs- und Erwerbsbeteiligung in den vergangenen drei Jahrzehnten Hunderte von Millionen Menschen aus der Armut befreit. Die kontinuierliche Steigerung des Welthandels hat vielen bessere Lebensbedingungen beschert.

Auch wenn wir jetzt pandemiebedingt den stärksten Rückgang der Wirtschaftsleistung seit dem Zweiten Weltkrieg erleben, müssen wir an dem Ziel festhalten, jenen Teilen der Weltbevölkerung, die noch unter Not und Hunger leiden, die Chance auf eine lebenswerte Zukunft zu geben. Das geht nur mit einem globalen Ansatz, wie sie etwa die Compact-with-Africa-Initiative vorsieht. Hierbei sollen Investitionen in die Infrastruktur und in moderne Technologien nicht nur für Arbeitsplätze sorgen, sondern auch eine nachhaltigere Weltwirtschaft ermöglichen. Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Afrika, bei dem der Wasserstoff in der europäischen Industrie – etwa in der Stahlerzeugung – eingesetzt wird, wäre eine Lösung für eine CO2-freie Produktion.

Angesichts der dramatischen Auswirkungen der Pandemie werden wir mit Sicherheit auch Erkenntnisse gewinnen, die zu einer Neubewertung von offenen Märkten und freiem Handel führen. Denn wir müssen zurzeit lernen, mit der Corona-Pandemie zu leben und zu arbeiten – und das werden wir nur in Zusammenarbeit mit den anderen europäischen Ländern schaffen. Wenn dies gelingt, wird Europa auch künftig ein wettbewerbsfähiger Wirtschaftsraum gegenüber Amerika und Asien sein.

Auch wirksamer Klimaschutz wird nur grenzübergreifend gelingen. Um die von der Wirtschaft mitgetragenen ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen, hatten die Firmen schon vor Corona damit begonnen, die Nachhaltigkeitsziele in ihre Strategien aufzunehmen. Dazu gehört die Frage der Rohstoffherkunft und –aufbereitung genauso wie das Ziel, den Ressourcenverbrauch insgesamt zu reduzieren und die Wiederverwendbarkeit zu ermöglichen und zu organisieren. Auch die weltweiten Lieferketten einschließlich der Logistik werden auf ihren CO2-Ausstoß überprüft.

Globalisierung und Freihandel sind die Voraussetzung dafür, dass wir die großen Zukunftsthemen gelöst bekommen: schnellere Digitalisierung, gute Infrastruktur, mehr regenerative Energieerzeugung, Erreichung der Klimaziele und eine neue Mobilität. In der Pandemiephase erleben wir gerade nahezu täglich eine neue enge Zusammenarbeit zwischen der Wirtschaft und den politisch Verantwortlichen in allen Staaten. Diese enge globale Zusammenarbeit sollten wir alle in guter Erinnerung behalten, wenn wir uns nach der Krise wieder verstärkt daranmachen, diese großen Herausforderungen zu lösen.