So sieht die Energieversorgung der Zukunft aus
Staat und Wirtschaftspolitik
Sekundarstufe I + II

Die Zukunft der Energieversorgung – Vom europäischen Energienetz bis hin zur Blockchain ist vieles denkbar. Doch wie sinnvoll ist das und wie weit sind die Pläne?
Dezentrale Stromnetzwerke, eigene Stromproduktion oder eine perfekt vernetzte europäische Stromversorgung - Forscher, Politiker und Unternehmen haben kühne Visionen, wenn es darum geht, wie wir künftig Strom produzieren, speichern und über weite Entfernungen transportieren werden. Einige dieser Ideen sind schon heute marktreif, andere stecken noch in den Kinderschuhen. Welche Projekte haben Potenzial – und wie hoch sind ihre Erfolgschancen? Drei Prognosen.
1) Blockchain: Alles dezentral
Die Blockchain-Technologie gilt für einige Experten bereits heute als größte Veränderung seit dem Internet. Bekannt wurde sie als Grundlage der Krypto-Währung Bitcoin. Im Prinzip ist die Blockchain eine Kette (Chain) von Datenblöcken (Block), die auf vielen verschiedenen Computern oder Servern gespeichert ist. Ändere man eine Datei auf einem Rechner, bleibt sie auf den anderen Computern im Original erhalten. Überweist man etwa Geld von A nach B, speichert die Blockchain diese Transaktion auf tausenden Rechnern und schützt sie so vor Manipulationen. Eine Bank, die die Transaktion als Mittelsmann überwacht, braucht es dann nicht mehr.
Auch in der Energiebranche ist die neue Technologie Thema. Immerhin könnte die Blockchain die Mittelsmänner für die Stromversorgung, also die großen Konzerne von RWE bis EON, auf einen Schlag überflüssig machen.
Wie wichtig die Stromversorgungsbranche diese Technologie nimmt, zeigt eine Umfrage der Deutschen Energie Agentur (dena) und der privaten Hochschule ESMT Berlin. Von 70 befragten Führungskräften aus der Energiebranche gab rund die Hälfte an, mit der Blockchain zu experimentieren oder das in nächster Zeit tun zu wollen. Besonders im Stromhandel könnte die Technologie interessant sein, gaben die Teilnehmer an.
Bisher beziehen Kunden ihren Strom über zentrale Energieversorger. Immer mehr Menschen produzieren Strom aber auch selbst: Landwirte zum Beispiel nutzen eigene Biogasanlagen, und viele Hausbesitzer haben eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach. Mithilfe der Blockchain könnte die so gewonnene Energie mit anderen Endverbrauchern geteilt werden. Haushalte könnten ihren Strom je nach Bedarf quasi in der Nachbarschaft ankaufen. Stromzähler erfassen den Umlauf und funken ihn an die Blockchain. Diese koordiniert die Verteilung des Stroms aus der Nachbarschaft dann vollautomatisch. Der zentrale Energieversorger wird nicht mehr gebraucht.
Bis es soweit ist, wird es aber noch dauern. Einige Betreiber und Start-Ups experimentieren zwar mit der Blockchain als dezentrale Lösung für die Koordination des Stromhandels – im New Yorker Stadtteil Brooklyn beispielsweise läuft seit mehr als zwei Jahren ein groß angelegtes Projekt. Doch noch sind die Systeme nicht marktreif. Es gibt außerdem viele Hürden zu nehmen. Dazu zählt die Anpassung der Rahmenbedingungen für den Stromhandel, sowohl juristisch als auch politisch. Dies ist aufwendig und zeitintensiv. Die Infrastruktur müsste ebenfalls angepasst werden, um ein Chaos auf dem Strommarkt bei der Umstellung zu verhindern. Die Blockchain bleibt also vorerst eine Vision – aber mit viel Potenzial.
2) Mein Nachbar, der Stromerzeuger
Immer mehr Menschen in Deutschland produzieren ihren Strom durch Photovoltaik-Anlagen selbst. Für die Zukunft könnte dies ein wichtiger Baustein der Energieversorgung sein. Bisher speisen viele Haushalte ihren erzeugten Strom in das Energienetz und bekommen dafür eine gesetzlich festgelegte Vergütung von den Stromanbietern. Je nach Größe und Art der Photovoltaik-Anlage erhält der Erzeuger eine Einspeisevergütung von bis zu 11,47 Cent pro Kilowattstunde. Das ist wenig, kostet den Verbraucher eine Kilowattstunde doch im Schnitt rund 30 Cent.
Dieses Modell könnte allerdings bald ausgedient haben. Anstatt den erzeugten Strom in das Energienetz einer Stadt zu speisen, könnten die Menschen ihre Energie bei Bedarf einfach selbst abrufen. Damit könnten sie nach Berechnungen des Verbraucherportals Finanztip den Stromverbrauch aus Eigenerzeugung auf rund zwei Drittel erhöhen.
Das große Problem: die Kosten. Eine Kilowattstunde Speicherkapazität kostete 2017 im Schnitt 1300 Euro – für einen Durchschnittshaushalt eine große Investition, die sich auch nicht zwingend rechnet. Effektivere Solaranlagen oder günstigere Batteriepreise könnten das ändern und mehr Menschen dazu animieren, selbst Strom zu produzieren.
Auch Unternehmen würden profitieren. Mehr als 13 Milliarden Euro könnten die Firmen bis ins Jahr 2020 sparen, wenn sie ihren Strom selbst produzieren und speichern würden, anstatt ihn wie bisher aus dem Stromnetz zu beziehen. Das ergab eine Studie der Unternehmensberatung EY.
Besonders lohnend ist demnach die Solaranlage auf dem Dach der Firma. Sie erzeugt Strom für einen Preis von nur acht Cent pro Kilowattstunde, eine Ersparnis von 22 Cent pro Kilowattstunde gegenüber dem normalen Einkauf. Den erzeugten Strom könnten Firmen anschließend in Batterien auf dem Werksgelände oder im Keller speichern. So zumindest die Idee. Denn in der Realität wird das Konzept bisher nur selten eingesetzt, da auch für Firmen zuerst hohe Investitionen stehen.
Das könnte sich ändern, wenn die Preise für die Batterien fallen. Ob und wann das geschieht, ist noch unklar. Der Beratungsunternehmer Energy Brainpool rechnet damit, dass die Preise bis Mitte der 2020er Jahre um bis zu 90 Prozent fallen. Dann würde die Produktion und Speicherung nur noch knapp 13 Cent pro Kilowattstunde kosten – und wäre damit deutlich günstiger als der Strom aus dem großen Verteilernetz.
3) Ein Stromnetz für Europa
Die Anfänge eines länderübergreifenden Netzes in Europa liegen über 60 Jahre zurück: Deutschland, Frankreich und die Schweiz legten bereits 1958 ihre Energienetze zusammen. Seitdem sind immer mehr Staaten dem Verbund beigetreten. In ihrer Endstufe sollen die Netze, die ganz Europa verbinden, zusammengenommen mehr als ein Erdumfang lang sein.
Der Netzausbau kostet die Europäische Union etwa 200 Milliarden Euro. Das Konzept: Ein computergesteuertes System erfasst, wo gerade Strom produziert und wo er gebraucht wird – um dann die benötigte Energie durch die Hochspannungsleitungen quer über den Kontinent zu schicken. So soll Solarstrom aus Spanien nach Deutschland oder Windenergie aus Skandinavien nach Bulgarien genutzt werden können. Langfristig sollen so die Preise sinken und die Stabilität der Netze erhöht werden. Ein weiterer Vorteil: Da das gesamte Netz sehr eng gewebt ist, könnten zwar Teilstrecken, nie aber die gesamte Energieversorgung zusammenbrechen.
An der Umsetzung hapert es aber noch. Noch gibt es zum Beispiel kein einheitliches Verbundsystem in ganz Europa, sondern gleich drei. Zum einen das kontinentaleuropäische Verbundnetz, zu dem unter anderem Deutschland gehört. Daneben haben die nordeuropäischen Staaten mit NORDEL und Großbritannien mit UKTSOA jeweils eigene Systeme.
Der Grund für die unterschiedlichen Systeme liegt in den verschiedenen technischen Voraussetzungen. Je nach Netz gibt es unterschiedliche Stromarten, die sich in den Regionen durchgesetzt haben und deren Umwandlung jedes Mal aufwendig und teuer ist.
In der Zukunft soll sich das mit dem sogenannten „europäischen Supergrid“ ändern. Das ist der Name des europaweiten Höchstspannungsnetzes, das Strom und Energie über weite Strecken verteilen kann. Bisher sind darüber bereits einige Länder miteinander verbunden. Die Ausbauarbeiten werden aber noch mindestens bis 2020 dauern.