“Strom im E-Auto speichern”

Staat und Wirtschaftspolitik

Sekundarstufe I + II

Interview
09.05.2019

Gero Lücking, Geschäftsführer Energiewirtschaft beim Ökostromversorger Lichtblick, spricht im Interview über die Energiewende in Deutschland und Chancen der Selbstversorgung.

Herr Lücking lediglich 11,6 Prozent des Energieverbrauchs deutscher Haushalte entfielen 2016 auf erneuerbare Energien. Damit liegt Deutschland EU-weit auf dem 21. Platz. Verschläft die Bundesrepublik die Energiewende?

Deutschland war eine Zeit lang Vorreiter, doch in den vergangenen Jahren hat die Politik die Energiewende ausgebremst. Um wieder in die Spur zu kommen, brauchen wir unter anderem einen zügigen Kohleausstieg und eine ökologische Verkehrs- und Wärmewende.

Was müsste Ihrer Meinung nach konkret getan werden, um wieder mehr Schwung in die Energiewende zu bekommen?

Der Energiesektor steht aktuell vor einer neuen Phase. Nicht finanzielle Förderungen, sondern der Abbau von Bürokratie steht im Vordergrund. Außerdem ist der Ökostrommarkt für Verbraucher sehr intransparent.

Wie stellen Sie sich denn mehr Transparenz vor?

Da gibt es verschiedene Ansätze. Es könnte zum Beispiel ein Ampelsystem für Stromanbieter geben. So ähnlich wie das auch für Lebensmittel diskutiert wird.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass man selbst mit einem Ökostromvertrag noch immer den gleichen Strom bezieht wie alle anderen Menschen. Der Strom, der am Ende in der Steckdose ankommt, ist bei einem Ökostromkunden genauso umweltschädlich wie bei jedem anderen Kunden.

Stimmt. Wenn Sie neben einem Kohlekraftwerk wohnen, werden Sie auch immer von dort Ihren Strom beziehen. Da stoßen wir einfach auf die Grenzen der Physik. Wir können nicht zu jedem Ökostromkunden eine separate Leitung vom nächsten Windrad verlegen. Trotzdem sorgt jeder Verbraucher durch seinen Vertrag mit einem Ökostromanbieter, dass die Energiewende gefördert wird. Denn Ökostromanbieter haben unabhängig von den physikalischen Gesetzmäßigkeiten die Pflicht, genau so viel Ökostrom einzukaufen und in die Netze einzuspeisen wie ihre Kunden verbrauchen.

Ihr Unternehmen hat einmal dafür Werbung gemacht, dass keiner mehr große Energieversorger braucht, sondern jeder sein eigenes Kraftwerk zu Hause hat. Wie soll das funktionieren?

Unsere Vision ist, dass jeder Haushalt selbst Strom produziert. Und zwar durch erneuerbare Energien, so dass die Umwelt nicht geschädigt wird. Wenn jeder aktuelle Stromkunde selbst Produzent wird, würden Kohle- und Atomkraftwerke schneller überflüssig. Und Ökostromanbieter liefern immer dann Strom, wenn zuhause nicht genug produziert wird.

Solar – und Windenergie sind jedoch vom Wetter abhängig.Was soll ein Haushalt machen, wenn die Sonne eine Woche lang zu wenig scheint und die Solarzellen auf dem Dach deshalb nicht genug Strom produzieren?

Wir wollen die ganzen einzelnen Haushalte miteinander vernetzen. Wer gerade übermäßig viel Strom produziert, kann ihn entweder bei sich zu Hause für schlechte Zeiten speichern oder ihn in das Netz einspeisen lassen und damit sogar Geld verdienen. Durch diese Vernetzung – wir nennen das „Schwarmenergie“, muss sich der einzelne Haushalt auch keine Gedanken über das Wetter machen.

Ist das alles technisch schon möglich?

Ja, im Großen und Ganzen schon. Wir haben das schon häufig erprobt. Strom lässt sich übrigens auch gut in E-Autos speichern, das haben wir in einem Feldtest in Berlin nachgewiesen. Da künftig immer mehr Menschen solche Autos fahren werden, haben sie ihre Batterie quasi direkt vor der Tür.

Wann wird Deutschland denn ihrer Meinung nach soweit sein, dass diese Vision Realität werden kann?

Die Energieversorger müssen sich wandeln hin zum Energiedienstleister. Hätten Sie mich vor ein paar Jahren gefragt, hätte ich gesagt, dass wir schon 2020 soweit sind. Wir haben das Ganze aber etwas überschätzt. Die Energiewende lief in den vergangenen Jahren langsamer, als wir uns das erhofft haben. 2030 wird aber wohl jeder Haushalt eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach haben, mit einer stationären Batterie, um Strom zu speichern, und vermutlich auch ein E-Auto besitzen. Dann können wir die einzelnen Haushalte vernetzen.


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