Arbeitskampf in Europa

Unternehmen und Markt

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Hintergrundtext
16.03.2018
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Auch im Ausland wird verhandelt, gestritten und gestreikt. Ein Blick nach Dänemark, Frankreich, Spanien und in die Schweiz.

Lokführer der Deutschen Bahn legen die Arbeit nieder, Piloten der Lufthansa wollen nicht abheben, Erzieher bleiben den Kitas fern: Gefühlt wird in Deutschland ständig gestreikt. Die Zahlen sprechen aber eine andere Sprache: Auf 1000 Mitarbeiter entfielen zwischen 2007 und 2016 in Deutschland gerade einmal sieben Streiktage. Kein Vergleich zum „Spitzenreiter“ Frankreich. Auch andere Länder sind deutlich stärker von Arbeitsniederlegungen betroffen. 

Frankreich: Radikaler Generalstreik

Es waren Szenen, die 2015 um die Welt gingen: Der Personalchef der französischen Fluggesellschaft Air France flüchtet über das Firmengelände. Nur mit einer Anzughose und einer Krawatte bekleidet, rettet er sich dank der Sicherheitskräfte vor der wütenden Arbeitermeute. Zwar war das selbst für französische Verhältnisse eine Eskalation im Arbeitskampf, aber es zeigt, dass bei unseren Nachbarn die Streikkultur ganz anders ausgeprägt ist.

Zwar gibt es auch in Frankreich Tarifverträge, doch anders als in Deutschland wird über deren Inhalt nur selten in Ruhe verhandelt. Im Gegenteil: Der Dialog zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern ist nur schwach ausgeprägt. Reden, verhandeln, streiten? Die meisten französischen Arbeitnehmer überspringen die ersten beiden Schritte.

Bereits 1958 wurde in Frankreich das Streikrecht in die Verfassung aufgenommen. Seither kam es immer wieder zu radikalen Arbeitskämpfen, mit denen die Arbeitnehmer Vorstände oder auch Aufsichtsräte in die Knie zwingen wollten. Insbesondere die sogenannten Generalstreiks sind für Politik und Wirtschaft ein großes Problem. Der Generalstreik richtet sich, anders als Streiks in Unternehmen oder Branchen, direkt gegen die Regierungspolitik - und kann schnell das ganze Land lahmlegen.

Während er in Deutschland verboten ist, ist er Frankreich ein gern genutztes Mittel, um sich gegen die Regierung und ihre Vorhaben zu stellen. Ein Grund dafür ist, dass der Staat aufgrund des nicht funktionierenden Tarifsystems massiv eingreifen muss und sich bei notwendigen Reformen die Wut der Arbeitnehmer gegen ihn richtet. Der bisher größte und weltweite bekannteste Generalstreik fand im Mai 1968 statt. Angefangen als Studentenbewegung, weitete er sich rasch auf das ganze Land aus und brachte an einem einzigen Tag mehr als zehn Millionen Franzosen auf die Straßen. Auf Drängen des damaligen Premierminister Georges Pompidou verhandelten Arbeitgeber und Arbeitnehmer und einigten sich schlussendlich auf eine ganze Reihe von Maßnahmen, darunter eine Anhebung des Mindestlohns um 35 Prozent.

Heute, fast 50 Jahre später, hat sich an der grundlegenden Streikkultur nur wenig geändert, lediglich die Radikalität und Häufigkeit der Streiks hat abgenommen. Der Grund: Viele Gewerkschaften besitzen keine Streikkassen mehr. Jeder ausgefallene Arbeitstag kommt die Arbeitnehmer deshalb teuer zu stehen. Außerdem haben sich viele private Unternehmen mittlerweile um bessere Kommunikation mit ihren Mitarbeitern gekümmert. Mittelpunkt der heutigen Streikwellen sind deshalb Staatsbetriebe, wie etwa die SNFC, das französische Pendant zur Deutschen Bahn.

Dänemark: Streiknation im Norden

Nicht Spanien, nicht Griechenland, sondern Dänemark liegt in der Streik-Statistik hinter den Franzosen auf Platz zwei. 117 Arbeitstage pro 1000 Arbeitnehmer entfielen 2005 bis 2012 wegen Streiks. Betrachtet man den Zeitraum von 2006 bis 2015 schiebt sich das nordeuropäische Land  sogar an die Spitze. Im Jahresschnitt fielen 120 Tage pro 1000 Arbeitnehmer aus, das ergab eine Langzeitstudie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Dabei streiken die Dänen nicht unbedingt besonders oft, sondern einfach besonders lange. 2013 etwa konnten sich Schüler in Dänemark über vier freie Wochen freuen als die Lehrer gemeinsam die Arbeit nieder legten.

Die Gewerkschaften gelten im nordeuropäischen Land als durchaus schlagkräftig. Die meisten der fast zwei Millionen Arbeiter sind in einer der großen drei Arbeitnehmerverbände LO, FTF und AC vertreten. Durch ihre schiere Größe haben die Gewerkschaften meist auch prall gefüllte Kampfkassen. Um mögliche Lohnausfälle müssen sich die Angestellten in Dänemark deshalb keine Sorgen machen: Während eines Streiks stellen die Gewerkschaften sicher, dass die Arbeitnehmer weiterhin ein Gehalt bekommen.

Wie in vielen europäischen Ländern ist in Dänemark das Recht auf Versammlung per Verfassung garantiert. Aber anders als in den meisten Staaten bedeutet die Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik in Dänemark das Ende der Beschäftigung, kommt also einer Kündigung oder einem Rauswurf gleich. Um Arbeitnehmer zu schützen, wird zum Ende eines Streiks eine Klausel in die Verträge eingefügt, so dass die Streikenden ihre Arbeit wieder aufnehmen dürfen als wäre nichts gewesen.                                                           

Spanien: Wir machen Politik

Wie auch in Griechenland oder Belgien sind in Spanien politische Streiks erlaubt und gehören seit Jahrzehnten zum festen Repertoire des Arbeitskampfs. Gerade während der Eurokrise und den damit einhergehenden Sparmaßnahmen gingen zehntausende Menschen in Spanien auf die Straßen und demonstrierten gegen die Politik der Regierung. Da diese politischen Streiks meist in Generalstreiks übergehen, sind vergleichsweise viele Arbeiter oder Angestellte betroffen. Dementsprechend stark schlagen sie sich in der Statistik nieder. Auch deshalb landet Spanien mit 58 Streiktagen auf 1000 Angestellte im oberen Mittelfeld der Streik-Statistiken.

Auffällig dabei ist die schwache Rolle der Gewerkschaften. Gerade einmal jeder achte Arbeitnehmer ist Mitglied eines Verbandes. Zwar haben die zahlreichen Streiks in den vergangenen Jahren gezeigt, dass auch Nicht-Mitglieder für Arbeitskämpfe mobilisiert werden können, doch das ist nicht der Normalfall. Die beiden größten Gewerkschaftsbünde, CCOO und die UGT, arbeiten deshalb oftmals zusammen, um ein Ziel zu erreichen.

Schweiz: Quasi streikfrei

Streiken? In der Schweiz ist das die absolute Ausnahme. Weder in Unternehmen noch auf politische Ebene kommt es im Normalfall zum Arbeitskampf. In den Statistiken landet das deutsche Nachbarland deswegen auf dem letzten Platz. Gerade einmal ein Streiktag kommt hier auf 1000 Arbeitnehmer.

Hintergrund der niedrigen Streiktage ist der sogenannte Arbeitsfrieden. Er ist ein Abkommen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden und besteht seit 1937. Er regelt, ab wann und in welchem Maße gestreikt werden darf. Anders als in vielen europäischen Ländern sind die Hürden dafür sehr hoch. In den meisten Fällen gilt ein absolutes Friedensrecht. Das bedeutet, dass solange ein Tarifvertrag läuft, in keinem Fall gestreikt wird. So soll sichergestellt werden, dass die Arbeit in der Schweiz nicht ständig niedergelegt wird, was besonders den Unternehmen zu Gute kommt. Der Arbeitsfrieden gilt bis heute als wichtiger Standortfaktor der Schweiz.

Wenn in der Schweiz gestreikt wird, betrifft das meist die sogenannten “Gesamtarbeitsverträge”. Damit werden Tarife und Arbeitsbedingungen für eine ganze Branche geregelt. Im Vorfeld der Verhandlungen oder nach Auslaufen eines solchen Vertrags kann es deshalb zur Arbeitsniederlegung der Mitarbeiter kommen, damit sie ihren Standpunkt festigen können.

Eine gesetzliche Bestimmung, wie so ein Streik aussehen darf, gibt es nicht. Laut des Bundesgerichts der Schweiz muss er aber vier wichtige Voraussetzungen erfüllen, um als rechtmäßig zu gelten: Der Streik darf nicht gegen die Friedenspflicht verstoßen, er darf nicht unverhältnismäßig sein, er muss von einer tariffähigen Organisation getragen werden und er muss ein klares Ziel verfolgen. Politische Streiks sind somit untersagt.


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