Online-Handel: Wachsender Umsatz, schwierige Logistik

Unternehmen und Markt

Sekundarstufe I + II

Hintergrundtext
04.10.2019
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In Deutschland sind die Anteile des Online-Handels am Einzelhandelsumsatz seit der Jahrtausendwende um mehr als das 40-Fache gestiegen, eine Warengruppe ist jedoch noch immer fast ausschließlich offline. Eine neue IW-Studie zeigt außerdem, dass die Zukunft des E-Commerce vor allem von der Logistik abhängt – denn die ist der Flaschenhals des Online-Handels.

Wie stark das Internet die Einkaufsgewohnheiten verändert hat, wissen die meisten aus eigener Erfahrung: 77 Prozent der Bundesbürger haben im vergangenen Jahr mindestens einmal online eingekauft – damit liegt Deutschland 17 Prozentpunkte über dem EU-Durchschnitt. Betrachtet man nur die Internetnutzer, kommt logischerweise eine noch höhere Quote heraus:

Laut Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien haben 2018 ganze 97 Prozent der Internetnutzer in Deutschland online eingekauft – und die Tendenz ist weiterhin steigend.

Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die Menschen schätzen die größere Produktauswahl sowie die günstigeren Preise und sie genießen die Bequemlichkeit des Online-Kaufs, also die Zeitersparnis, die Lieferung nach Hause und die Unabhängigkeit von Öffnungszeiten. All das schlägt sich in den Umsatzzahlen nieder (Grafik):

Laut Handelsverband Deutschland betrug der Online-Umsatz 2018 schätzungsweise 53,6 Milliarden Euro – gut 40-mal so viel wie im Jahr 2000

Damit entfallen mittlerweile etwas mehr als 10 Prozent des Gesamtumsatzes des Einzelhandels in Deutschland auf Online-Käufe – im Jahr 2000 lag der Anteil erst bei 0,3 Prozent.

Hinter diesen beeindruckenden Zuwachsraten stehen allerdings recht unterschiedliche Trends in den einzelnen Warengruppen. Nach Analysen des Instituts für Handelsforschung Köln entfielen 2017 fast 29 Prozent aller mit Unterhaltungselektronik und Elektroartikel erzielten Umsätze auf den Online-Handel. Auch Mode und Accessoires sowie Artikel für Freizeit und Hobby wurden relativ häufig online bestellt.

Lebensmittel selten im digitalen Warenkorb

Was die Bundesbürger eher nicht im Netz kaufen, sind „Fast Moving Consumer Goods“ – so werden im Fachjargon jene Konsumgüter des alltäglichen Bedarfs genannt, die häufig und spontan gekauft werden. Dazu zählen vor allem Lebensmittel, Getränke, Reinigungsmittel und alles rund um die Körperpflege (Grafik):

Obwohl der Online-Umsatz mit Lebensmitteln und Produkten für die Körperpflege binnen eines Jahres mit 16 Prozent schneller gestiegen ist als der entsprechende Umsatz in jeder anderen Warengruppe, erreichte er 2017 erst 2 Prozent des Gesamtumsatzes mit dieser Produktgruppe in Deutschland.

Offenbar überzeugen die Vorteile des Online-Kaufs die Verbraucher insbesondere bei Lebensmitteln bislang noch nicht so stark wie bei anderen Waren. Das Gros der Online-Shopper möchte Lebensmittel lieber im Supermarkt sehen, riechen und anfassen. Wenn überhaupt, ordern die Konsumenten online vor allem Alkohol und Süßigkeiten.

Ein weiterer Grund für die Zurückhaltung ist, dass die Verbraucher bei Lebensmitteln dem stationären Handel mehr vertrauen als den Online-Anbietern; zudem gehört der Einkauf im Supermarkt noch immer zu den beliebten Ritualen der Bundesbürger.

Die höhere Reichweite des Online-Handels nutzt nicht nur den nationalen Anbietern, sondern fördert auch den internationalen Handel:

Im vergangenen Jahr haben 27 Prozent der Bundesbürger bei einem ausländischen Online-Anbieter eingekauft – im Jahr 2011 waren es erst 11 Prozent.

Den größten Anteil am Online-Umsatz in Deutschland hält ebenfalls ein ausländischer Anbieter: Amazon hat einen Marktanteil von 46 Prozent und setzte 2018 nur mit seinen eigenen Angeboten fast 9,3 Milliarden Euro um – der zweitplatzierte Handelskonzern Otto lag mit knapp 3 Milliarden Euro schon deutlich dahinter.

Fünf Thesen zum Online-Handel

Bleibt die Frage, wie es mit dem Online-Handel weitergeht. Dazu hat das IW fünf Thesen aufgestellt:

These 1: Der Online-Handel wird weiter wachsen. Eine Sättigung des Marktes ist in den kommenden fünf Jahren nicht zu erwarten – wohl aber ein zunehmender Kannibalisierungseffekt zwischen stationärem und Online-Handel.

These 2: Auf die Logistik kommt's an. Bislang ist die Logistik der Flaschenhals des Online-Handels. So wächst zum Beispiel die Zahl der DHL-Packstationen seit Jahren deutlich langsamer als der Online-Umsatz. Außerdem verlängern sich die Lieferzeiten, weil sich die Verkehrssituation in den deutschen Städten mehr und mehr zuspitzt. Und da es der Logistikbranche zudem an Arbeitskräften mangelt, kommt es nicht nur im Weihnachtsgeschäft regelmäßig zu Engpässen bei der Lieferung – und zu verärgerten Kunden.

These 3: Die Lieferbedingungen bestimmen die Kaufentscheidung. Wenn man die Zahlen von UPS – selbst ein Logistikunternehmen – heranzieht, basieren gut 40 Prozent der Kaufentscheidungen auf den Lieferbedingungen. Vor allem die Lieferzeit sowie die Möglichkeit, die Pakete in Packstationen abzuholen und – bei Retouren – auch wieder abzugeben, sind Online-Käufern wichtig. Zwar sind die meisten Kunden nicht bereit, für den Versand zusätzlich zu bezahlen, rund 70 Prozent bevorzugen die billigste, meist kostenlose Lieferoption. Dennoch haben die Kunden hohe Erwartungen an den Zustellort und die Zustellzeit. Für Händler und Logistiker sind das große Herausforderungen.

These 4: Online-Handel und Logistik vermischen sich. Um den steigenden Ansprüchen der Kunden zu genügen und das Nadelöhr Logistik zu überwinden, treten neue Online-Händler mit eigener Logistik in den Markt ein. Oder etablierte Händler rüsten mit eigenen Logistikkomponenten auf. Für kleinere Händler, die sich das nicht leisten können, werden künftig immer mehr digitale Plattformen diesen Service übernehmen.

These 5: Der klassische Handel wird überleben. Statt exklusiver Online- oder Offline-Angebote wird es immer mehr Hybridlösungen geben, die das Beste aus beiden Welten kombinieren. Stationäre Händler werden das Internet zum Verkauf selbst nutzen müssen, wenn sie keine Umsatzeinbußen riskieren wollen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf iwd.de


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