Kurzarbeit: ein Instrument, viele Varianten

Globalisierung und Europa

Sekundarstufe I + II

Hintergrundtext
16.06.2020
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Die Corona-Pandemie hat einmal mehr die Kurzarbeit als arbeitsmarktpolitisches Instrument auf den Plan gerufen. Und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen EU-Staaten, wie eine IW-Studie zeigt. Allerdings sind die Leistungen kaum vergleichbar.

Kurzarbeit ist keinesfalls ein neues arbeitsmarktpolitisches Instrument. Im Gegenteil:

Bereits 1910 übernahm das Deutsche Reich die „Kurzarbeiterfürsorge“ für Arbeiter der Kali-Industrie, da der Staat der Branche einen Kapazitätsabbau verordnet hatte.

In den 1970er- und 1980er-Jahren wurde Kurzarbeitergeld dann regelmäßig von der Bauindustrie in Anspruch genommen, wenn Aufträge ausblieben oder das Wetter Arbeit unmöglich machte.

Besonders wichtig und populär wurde Kurzarbeit in der Finanz- und Wirtschaftskrise vor zehn Jahren. Die überstand Deutschland auch deshalb – relativ – gut, weil der Staat den heimischen Firmen umfangreiche Möglichkeiten bot, ihre Mitarbeiter mit Kurzarbeitergeld aus der Kasse der Bundesagentur für Arbeit zu halten, statt sie in die Arbeitslosigkeit zu entlassen. So war es den Unternehmen nach der Krise schnell möglich, die Produktion wieder hochzufahren – denn sie mussten kaum neue Fachkräfte finden und einarbeiten.

Nach diesen Erfahrungen ist es kein Wunder, dass die Bundesregierung in der Corona-Pandemie schnell umfassende Kurzarbeitsregelungen getroffen hat. Anfangs bekamen kinderlose Mitarbeiter 60 Prozent des ausgefallenen Nettolohns als Kurzarbeitergeld ersetzt und Mitarbeiter mit Kindern 67 Prozent.

Viele andere Staaten haben – sicherlich auch den deutschen Erfolg von vor zehn Jahren im Hinterkopf – ähnliche Regelungen getroffen:

Die Eurofound-PolicyWatch-Datenbank, die eigens für die Covid-19-Krise eingerichtet wurde, listet aktuell knapp 50 Maßnahmen europäischer Staaten auf, um Arbeitsplätze zu sichern.

Das IW hat in einer Studie schon vor Veröffentlichung der Datenbank bedeutende Maßnahmen analysiert. Zentrale Erkenntnis: Es ist nicht sinnvoll, die Leistungen miteinander zu vergleichen oder politische Forderungen aus den Maßnahmen in anderen Ländern abzuleiten (Grafik):

Über die maximale Bezugsdauer betrachtet, kommen Kurzarbeiter in Deutschland auf die vierthöchste Gesamtleistung.

Spanier, Franzosen und Finnen bekommen zwar mehr, doch diese Erkenntnis hilft wenig, denn die Bezugsdauer für Kurzarbeitergeld unterschiedet sich von Land zu Land stark. So können – Stand Ende März 2020 – Briten und Niederländer zum Beispiel nur für drei Monate mit Unterstützung rechnen, in Deutschland gibt es dagegen zwölf Monate lang Geld, in Ausnahmefällen sogar 21 Monate. Noch länger gewährt Spanien finanzielle Hilfen.

Aber auch andere Aspekte machen den Vergleich staatlicher Kurzarbeitszahlungen nahezu unmöglich:

Steuern und Abgaben. Einige Staaten wie Deutschland entbinden die Arbeitnehmer beim Kurzarbeitergeld von der Pflicht, Steuern und Abgaben zu zahlen. Das tun zum Beispiel Finnland und die Slowakei nicht, deshalb bleibt dort unterm Strich deutlich weniger übrig als in Staaten, die vermeintlich wenig unterstützen.

Höchstgrenzen. In vielen Ländern wird Kurzarbeitergeld nur bis zu einer bestimmten Höhe gezahlt – und diese Grenzen unterscheiden sich drastisch.

Hinzuverdienst. Bei der Frage, ob sich Kurzarbeiter etwas dazuverdienen dürfen, scheiden sich ebenfalls die Geister. So ist das beispielsweise in den Niederlanden verboten, während Deutschland diese Möglichkeit anlässlich der Pandemie sogar ausgeweitet hat.

Hinzu kommt, dass sich die Situation fast täglich ändert – regelmäßig werden neue Hilfspakete beschlossen, laufen Regelungen aus oder greifen neue Unterstützungsprogramme:

Die Eurofound-Datenbank zählt mittlerweile fast 500 Politikmaßnahmen, mit denen sich die EU-Mitgliedsstaaten gegen die Krise stemmen.

In Deutschland etwa hat die Bundesregierung schon vor einigen Wochen beschlossen, das Kurzarbeitergeld zu staffeln – je länger es in Anspruch genommen wird, desto höher ist es; bis zu 87 Prozent des Nettolohns sind möglich.

Zudem führt es in die Irre, die Anti-Krisen-Maßnahmen ohne das jeweilige Sozialsystem zu beurteilen. Denn oft bieten die Staaten weitere Unterstützungen, damit zumindest die Grundsicherung gewährleistet ist. Ähnliches gilt für Branchenlösungen oder Tarifverträge – auch die ergänzen oft staatliche Leistungen und stocken sie auf.

Mit diesem Wissen sollte man deshalb auch SURE einordnen, das neue Programm der EU-Kommission. Es soll die Mitgliedsstaaten in der aktuellen Krise dabei unterstützen, Erwerbstätige und Arbeitsplätze zu schützen: SURE stellt Finanzmittel bereit, überlässt aber den EU-Ländern die Auswahl der Maßnahmen, die am besten zum jeweiligen Arbeitsmarkt und Sozialsystem passen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf iwd.de


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