Immobilien: Die Wohnungskrise

Unternehmen und Markt

Sekundarstufe I + II

Hintergrundtext
27.10.2023
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Hohe Mieten, kaum bezahlbare Immobilien – der Wohnungsmarkt in Deutschland ist unter Druck. Vor allem in den Ballungszentren steigen die Preise. Da zu wenig Wohnraum gebaut wird, dürfte sich diese Entwicklung auch in Zukunft fortsetzen.

Es gibt eine griffige Zahl, die das Problem sehr anschaulich verdeutlicht: 60 Monate – annähernd so lange dauert es laut der Kieler Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen heutzutage durchschnittlich in Deutschland, um eine einfache Wohnung fertigzustellen. Das ist fast doppelt so lange wie 2014. In diesen fünf Jahren, die es mittlerweile braucht, bis das neue Heim endlich bezugsfertig ist, dürfte so mancher ursprüngliche Wohnungswunsch obsolet sein: weil es nun Kinder gibt, weil es mehr Kinder gibt, weil Kinder bereits ausgezogen sind, weil Partner hinzu- oder abhandengekommen sind oder ein Familienmitglied pflegebedürftig geworden ist und nun eine barrierefreie Wohnung benötigt.

Doch nicht nur der Faktor Zeit macht das Wohnen zum sozialen Thema. Sowohl die Mieten als auch die Kaufpreise für Wohnimmobilien sind in den vergangenen Monaten deutlich gestiegen – Letztere sind zwar zuletzt wieder etwas gefallen, doch längst nicht genug, um den Zinsanstieg auszugleichen. Der Immobilienerwerb ist für viele potenzielle Käufer schlicht nicht mehr möglich, was dazu führt, dass diese Gruppe Mieter bleibt. Das sowie die zu geringe Bautätigkeit – bundesweit fehlen rund 700.000 Wohnungen – führt insbesondere in den Ballungszentren zu stark steigenden Mieten (Grafik):

Die durchschnittlichen Neuvertragsmieten sind zuletzt in allen deutschen Großstädten gestiegen. In Berlin mussten Mieter im zweiten Quartal 2023 im Schnitt sogar 20 Prozent mehr zahlen als im Vorjahreszeitraum.

Dass die Mieten in der Hauptstadt so in die Höhe geschossen sind, liegt auch daran, dass Berlin wächst: Allein 2022 gab es eine Nettozuwanderung von 85.000 Menschen. Außerdem holen viele Vermieter in Berlin Mietpreiserhöhungen nach, die sie aufgrund des Anfang 2020 eingeführten, aber inzwischen wieder aufgehobenen Mietendeckels nicht vornehmen konnten.

Keine Entspannung in Sicht

Eine Entspannung der Lage auf dem Wohnimmobilienmarkt ist zudem nicht in Sicht. Denn obwohl die Nachfrage nach Wohnraum hoch ist, werden in Deutschland zu wenige Wohnungen und Häuser gebaut. Ursprünglich hatte die Bundesregierung ein Neubauziel von jährlich 400.000 ausgerufen – tatsächlich werden in diesem und im kommenden Jahr aber wohl nur jeweils 200.000 neue Wohnungen fertig sein. Vor allem für Projektentwickler – also für Unternehmen, die Grundstücke kaufen, Immobilien bauen und diese dann verkaufen – lohnt sich die Bautätigkeit aktuell aufgrund der hohen Baukosten und der hohen Zinsen nicht. Neubauten lassen sich derzeit nur mit Verlust verkaufen. Da das Personal jedoch weiterhin bezahlt und anderweitige Verpflichtungen bedient werden müssen, melden mehr und mehr Projektentwickler Insolvenz an. Entsprechend mies ist die Stimmung in der Branche (Grafik):

Im dritten Quartal 2023 befanden sich rund 61 Prozent der Projektentwickler im Stimmungstief – so viele wie noch nie.

Zufrieden sind aktuell nur knapp 7 Prozent der befragten Unternehmen, im Vorjahresquartal waren es noch dreimal so viele.

Doch nicht nur die Projektentwickler haben zu kämpfen, die gesamte Baubranche ist unter Druck. Was passiert, wenn die Beschäftigten einer kriselnden Branche ihrer Zunft den Rücken kehren, hat die Coronapandemie gezeigt: Sie kommen – wie in der Gastronomie und Hotellerie – in der Regel nicht mehr zurück. Dieses Schicksal steht nun auch der Baubranche bevor, sodass die Bauleistung aufgrund fehlender Fachkräfte auf Jahre limitiert sein dürfte. So geht das ifo Institut für 2025 bereits von nur noch 175.000 fertiggestellten Wohnungen in Deutschland aus.

14 Maßnahmen für mehr Wohnraum

Der Wohnungsbaugipfel, zu dem Bundeskanzler Olaf Scholz Ende September ins Kanzleramt eingeladen hatte, soll nun Linderung bringen. Angedacht ist unter anderem, den verschärften Energieeffizienzstandard EH 40 für Neubauten für den Rest der Legislaturperiode auszusetzen und die Einkommensgrenzen für Familien, die Eigentum erwerben möchten und ein zinsvergünstigtes Baudarlehen beantragen wollen, von 60.000 Euro auf 90.000 Euro zu versteuerndes Jahreseinkommen zu erhöhen. Für Kapitalanleger soll es zügigere Steuerabschreibungen geben und Investoren sollen es leichter haben, Gewerbeimmobilien zu Wohnungen umzubauen. Zudem sollen die Bundesländer mehr Gestaltungsfreiheiten bei der Grunderwerbsteuer erhalten. Insgesamt 14 Maßnahmen hat das Bundesbauministerium beim Gipfel präsentiert, die „viel verändern und viel möglich machen“ sollen. Ob sie tatsächlich eine Trendwende am Wohnungsmarkt herbeiführen, wird sich zeigen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf iwd.de