Die bewegte Geschichte der Gewerkschaften

Unternehmen und Markt

Gymnasien, Realschule, berufliche Schulen | Sekundarstufe I + II

Hintergrundtext
05.03.2018
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Streiks organisieren, Tarife aushandeln oder rechtlich beraten - all das leisten Gewerkschaften für Arbeitnehmer. Doch das war nicht immer so. Ihre Rechte und Privilegien mussten sie sich hart erkämpfen. Ein Blick auf mehr als 150 Jahre bewegte Geschichte.

Riesige Fabrikhallen, Fließbandarbeit, Massenproduktion: Anfang des 19. Jahrhunderts begann in Deutschland die industrielle Revolution. Hatten bis dahin Arbeiter viele Produkte in Handarbeit hergestellt, übernahmen das nun Maschinen. Doch was für das damalige Deutschland einen großen wirtschaftlichen Sprung nach vorne brachte, bedeutete für die einfachen Fabrikarbeiter sehr schlechte Arbeitsbedingungen.

Maßnahmen zum Schutz der Arbeiter gab es nicht, Unfälle waren an der Tagesordnung. Und wer nicht arbeiten konnte, erhielt keinen Lohn. Viele Arbeiterfamilien lebten in heruntergekommenen Wohngegenden unmittelbar neben den Fabriken. Die Missstände veranlassten die Beschäftigten, sich zu zusammenzuschließen: Um 1830 gründeten sich die ersten Arbeiterorganisationen mit dem Ziel der Selbsthilfe. Arbeiter zahlten in die sogenannte Unterstützungskassen ein. Wurde einer von ihnen schwer krank oder starb, zahlte die Gemeinschaft an die Familie des ehemaligen Arbeitskollegen und unterstützte sie.

Die erste Gewerkschaft in Deutschland, der Nationale Buchdrucker Verein, wurde im Juli 1848 gegründet. Sie forderte den Schutz vor sozialem Abstieg und sinkenden Löhnen ihrer Mitglieder. Ende August 1848 rief der Schriftsetzer Stephan Born das Berliner „Zentralkomitee für Arbeiter“ aus, die erste deutsche Massenbewegung der Arbeiter. Handwerksgesellen, Facharbeiter und Meister, sie alle schlossen sich der Bewegung an. Ihre zentrale Forderung: Den 10-Stunden-Tag gesetzlich festlegen.

Kampf gegen den Staat

Ab diesem Zeitpunkt ist die Geschichte der Gewerkschaften vom steten Kampf mit den Arbeitgebern oder dem Staat geprägt. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts begann der Staat - angeführt vom Adel, dem Militär und der reichen Bürgerschicht - die wenigen Rechte der Arbeiter wieder einzuschränken. Gewerkschaften wie die Zigarettenarbeiter-Assoziation wurden verboten, ihre Anführer politisch verfolgt. In den 1850er Jahre wurden außerdem die Arbeiterkassen- und Unterstützungseinrichtungen abgeschafft und durch staatlich kontrollierte Versicherungen ersetzt.

Die Arbeiterbewegung ließ sich von diesen Maßnahmen nur kurz bremsen. In der Folge setzte sie höhere Löhne durch und sorgte für bessere Arbeitsbedingungen. Einen Einschnitt für die Gewerkschaften bedeutete die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933. Denn Gewerkschaften passten nicht in das ideologische Weltbild der Nazis. Schon im Mai 1933 lösten sie die freien Gewerkschaften auf und gründeten stattdessen die “Deutsche Arbeitsfront“, die sie selbst kontrollierten und durch die sie die Arbeiterschaft überwachen konnten.

Kurz vor dem Ausbruch des 2. Weltkriegs stellten die Nationalsozialisten auf Kriegswirtschaft um. Güter, die für den Krieg von Bedeutung waren, sollten vermehrt hergestellt werden. Für die Angestellten bedeutete das, dass sie ihren Arbeitsplatz nicht mehr ohne weiteres wechseln konnten. Außerdem kam es vor, dass sie aus einem kriegsunwichtigen Betrieb abgezogen wurden, um zum Beispiel in einer Waffenfabrik zu arbeiten.

Nach der Niederlage der Nationalsozialisten ließen die Alliierten in Westdeutschland die Gewerkschaften bereits ein Jahr nach Kriegsende wieder zu - wenn auch zunächst unter Auflagen. 1949 gründete sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), in dem heute alle großen Gewerkschaften gemeinsam organisiert sind. Er hatte damals wie heute rund sechs Millionen Mitglieder. Parallel dazu gründete sich in Ostdeutschland der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB). Im Gegensatz zum DGB hatte er nicht die Absicht, Interessen gegen die Arbeitgeber durchzusetzen, sondern akzeptierte das sozialistische System der DDR. Seine hauptamtlichen Funktionäre waren in den Leitungen der Betriebe präsent. Ihre Aufgabe bestand darin, die Politik der SED zu popularisieren und bei den Beschäftigten durchzusetzen.

Fusionen nach der Wiedervereinigung

Nach der Wiedervereinigung fusionierten viele Gewerkschaften. Den größten Zusammenschluss gab es im Jahr 2001: Die fünf Gewerkschaften Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG), Deutsche Postgewerkschaft (DPG), Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), IG Medien sowie der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) bildeten die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Mehr als 1.000 Berufe mussten auf 13 verschiedene Fachbereiche verteilt werden. Damals löste ver.di die IG Metall als größte deutsche Einzelgewerkschaft ab.

Doch in den Folgejahren verlor ver.di jährlich zahlreiche Anhänger. Gestartet mit 2,8 Millionen Mitgliedern war die Gewerkschaft im Jahr 2015 nur noch Sprachrohr für knapp zwei Millionen Beschäftigte. Die IG Metall mit mehr als 2,2 Millionen Mitgliedern ist heute die Nummer 1 der Großgewerkschaften.

Der Mitgliederschwund, den die Gewerkschaften in Deutschland in den vergangenen Jahren verzeichnen mussten, ist insofern problematisch, als das mit fehlender Durchschlagskraft der Gewerkschaften auch die Tarifbindung abnimmt. Die Folge ist ein stärkeres Eingreifen des Staates in die Tarifautonomie. Belange einzelner Branchen können aber besser von den jeweiligen Gewerkschaften vertreten werden. Außerdem droht beim Wegfall eines funktionierenden Tarifsystems und einer steigenden Verantwortung des Staates ein Reformstau.


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